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Sakramentisch (German Edition)

Sakramentisch (German Edition)

Titel: Sakramentisch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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würde, davon war er
ausgegangen. Dennoch: Zwischen Vorstellung und Wirklichkeit klaffte eine
gewaltige Lücke. Nun war es also klar. Das Leuchtzifferblatt seiner Uhr zeigte
zwanzig Uhr eins. Der Fahrer hörte Nachrichten auf Arabella. Zu leise, um
mitzubekommen, was in der Welt geschehen war. Artur und Werner würden schon am
Checkpunkt sein und warten.
    Alles war bisher so glattgegangen, dass er sich für ein paar
Sekunden sogar die Unkonzentriertheit eines Gedankenausflugs zu seiner Ex hatte
genehmigen können. Doch nun sammelte er sich schlagartig. Jede Faser seines
Körpers und jede Synapse in seinem Gehirn waren bereit. Seine kriminalistischen
Instinkte waren wachgerüttelt und munter.
    Der Nachbar links neben ihm schnarchte. Seine Kumpels in den zwei
Reihen vor ihnen prahlten lauthals mit ihren Verkaufserfolgen des Tages,
führten sich gegenseitig dicke Geldbündel vor, hauten sich ausgelassen auf die
Schulter und gossen sich den Rest des Chianti ein, den sie mitgebracht hatten.
Zum Glück hatte der Fahrer das Rauchen in seinem Fahrzeug strikt verboten. Er
saß ruhig hinter dem Lenkrad, beobachtete die Straße im Licht der Scheinwerfer
und hörte Musik.
    Mit einem leisen, gleichmäßigen Surren öffnete sich der
Reißverschluss der Sporttasche. Der Rucksack stand schon offen. Hadi musste nur
die Füße zur Seite nehmen, was er nun tat.
    Draußen, unweit von Aßling, rauschte das Ortsschild der bedeutenden
Ortschaft Lorenzenberg, Sitz des Kindergartens Spatzenberg und des Sportvereins
Diana, vorbei.
    Zehn Minuten später, in Hohenthann, kurz bevor die Straße in einer
lang gezogenen Rechtskurve der Flurbereinigung folgte, wurde die Busbesatzung
durch einen grässlichen Schrei irritiert. Er klang wie »Carachitipivedere!«
    Das war etwas Italienisches und bedeutete so viel wie: »Schaut euch
den Typ an! Ist der nicht zum Schreien?«
    Alle Köpfe fuhren herum. Brüllendes Gelächter.
    »Isse wie Oktoberfeste!«
    Hadi hatte sich eine weibliche Gummimaske eng übers Gesicht gezogen.
Ein Mädchen mit Kulleraugen, Stupsnase, knallrotem Mund, rosaroten Wangen und
Zöpfen, das ausgezeichnet zu seinem kracherten Burschenoutfit passte. Etwa so
ausgezeichnet wie eine Kuh auf den Balkon einer Almhütte.
    »Hastu noch mehr von dene? Wolle wir auch eine!«
    Ja, Hadi hatte. Er brauchte nur in seinen Rucksack zu greifen.
    Fünf Minuten später wankte und torkelte ein seriöser Opel Vivaro,
besetzt mit einer Schar total durchgeknallter, Oktoberfestlieder singender,
bayerisch-bezopfter Italienermädels den knackigen Berg hinunter auf Schönau zu,
bekannt durch seine Kirche, seinen Friedhof und das Dorfwirtshaus. Oft hatte
Hadi die fünfundvierzig Grad steile Anhöhe auf- oder abwärts mit dem Rennradl
bezwungen. Abwärts pfeifend, aufwärts hechelnd. Links und rechts der Straße
geisterten die Scheinwerfer – eigene und entgegenkommende – durch gespenstisch
tote Fichtenwälder. Der Borkenkäfer hatte im vorletzten Jahr Einzug gehalten.
    Allein der Fahrer machte Hadi Sorgen. Sein breites Grinsen war
erloschen. Er kratzte sich am halb kahlen Kopf und unter der Achsel. Bestimmt
nicht nur, weil er dort Ungeziefer vermutete. Auffallend häufig blickte er über
den Rückspiegel nach hinten.
    Hatte er Verdacht geschöpft? Aber wie sollte er. Alles war mit
rechten Dingen zugegangen.
    War er bewaffnet? Die Frau im Reisebüro hatte so etwas angedeutet.
Ein Bewaffneter sollte die Reise begleiten.
    »Hrrrmmpfff!«
    Artur und Werner schnauften beide fast gleichzeitig aus, als der
alte, klapprige Fiesta ohne quälendes Keuchen ansprang. Artur hatte problemlos
das Nummernschild auswechseln können, und beide hatten eine angenehme
Sitzposition gefunden, als Artur in stockdunkler Nacht den Wagen mit einem
aufgeblendeten und einem halb erblindeten Scheinwerfer über die kurvige
Landstraße Richtung Bad Aibling lenkte.
    »Hoffentlich hält uns die Polizei nicht an«, warnte Artur ohne
Vorwurf.
    Der Anwalt lächelte schmal. »Nicht im Februar um diese Uhrzeit. Das
wär ihnen zu unbequem«, versuchte er die Zweifel auszuräumen.
    Immer wieder warf Artur verstohlene Blicke auf seinen Beifahrer.
Werner sollte nicht merken, wie sein Hirn gegen den Schädel hämmerte. Auch
seine Augen schmerzten, und in Nase und Mund hatte er einen widerwärtigen
Geschmack wie nach dem übermäßigen Genuss von Schnupftabak und Obstler.
    Die Lichter dahinrasender Pkws und Laster zogen vorüber wie
Sternschnuppen, als sie bei Dettendorf die Autobahn unterquerten.

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