Sakramentisch (German Edition)
einen
forstgrünen Wolljanker über einer bestickten Kniebund-Lederhose. Die Füße
steckten in schwarzen Haferlschuhen. Das entsprach exakt dem Bild, das sich
Italiener vom Trachtenbayern, dem Gott des Münchner Oktoberfests, machten. Er
winkte päpstlich in die Runde, lupfte kurz den Hut und lächelte.
Vor Hadis inneren Auge war das Bild des Frühherbstes entstanden,
wenn am zweiten Oktoberfestwochenende Karawanen von Wohnwagen mit italienischen
Kennzeichen die Brennerautobahn nach München bevölkerten, um die
Landeshauptstadt gnadenlos zu unterjochen. Die jährlich wiederkehrende
Italienerinvasion! Kein Eingeborener findet mehr einen Parkplatz in der Stadt,
geschweige denn ein Flascherl Bier im Supermarkt. Bäcker haben Hochbetrieb und
richten sich schon Wochen vorher auf eine Brezn-Produktion ein, die alle Armeen
dieser Welt für viele Kriege versorgen könnte. In den Biertempeln auf der Wiesn
wird Italienisch zur Landessprache, Politessen klemmen zweisprachige Zettel
unter die Wischblätter, Taschendiebstahl wird zum Volkssport. Für Italiener war
die Wiesnzeit wichtiger als das Urbi et Orbi im Vatikan, die Festspiele von
Verona und der Karneval in Venedig zusammen. Für einen Platz auf der Wiesn
ließen sie alles sausen.
Als Hadi Yohl kurz hinter Beyharting den Janker ablegte, kamen ein
weißes Leinenhemd und orangefarbene Hosenträger zum Vorschein. An den Bund der
Lederhose war ein Futteral für eine Sonnenbrille geklemmt. Er schlüpfte an
einem schulterklopfenden Italiener vorbei in die letzte Reihe und quetschte
sich schwer atmend auf den einzig freien Sitz. Der Mann vor ihm grinste ihn an
und schob die Tür wieder zu.
Die Fahrt verlief wie jede Fahrt in der dunklen Früh. Man schlief,
plauderte leise, der eine oder andere presste, wenn’s nottat, die Luft aus dem
Gedärm.
Hadi Yohl fragte sich, warum er nur von Männern umringt war. Hatten
Frauen kein Gefühl für Schmuck? Fassten sie Schmuck erst an, wenn der Geliebte
ihn um ihr Hälschen hängte oder an ihr Fingerchen steckte? Frauen handelten
doch mit allem Möglichen. Mit Immobilien, Wertpapieren, mit Kosmetik,
Kunststoffgeschirr, Schweinehälften und mit Möbeln oder Schuhen. Aber hat man
schon einmal eine Weihnachtsbaum- oder eine Autoverkäuferin gesehen? Oder von
einer weiblichen Koksdealerin gehört? Genauso schien es sich mit der Ware
Schmuck zu verhalten.
»Ciao, Monaco!«, rief plötzlich einer
laut.
»Allo, Munken, gruß Gotte!«, folgte der andere.
Sie hatten die Autobahn verlassen und fuhren über die Ramersdorfer
Kreuzung, als das große Jubilieren anhob.
»Bald isse die Fruhling, ah! Bald isse Oktoberfeste!«
»Sisiii, viele Blumen! Gruuun!«
»Sonne und warme und Gelati. Aaah!«
»Si, unde amore, amore, amore! Auf Oktoberfeste!«
Der Mann in der Tracht in der letzten Reihe wurde angesteckt. »Nix
Oktoberfest in Fruhling!«, sagte er missmutig wie ein echter Bayer.
»Oktoberfest in September.«
»Ooohhhh«, kam es in einem Chor des Bedauerns. »Viele zu lange!«
»Ja!«
Der Bayer war geneigt, sich zu erheben. Doch er knallte mit dem Kopf
gegen das Autodach. Das schickte ihn in die Knie. »Ja, aber vorher Biergarten«,
rief er aus.
Der Fahrer ohne Baseballcap bekräftigte. »Genau!«, rief er nach
hinten. »It’s Biergarten time. Giardino di birra.«
Sie hatten eine Mordsgaudi.
Dann waren sie da.
In Gedanken war Hadi Yohl ständig bei seinem Rucksack und der
Sporttasche. Beide lagerten in Griffweite hinter ihm. Er musste dafür sorgen,
dass das auch auf der Rückfahrt wieder so war.
Der Bierkönig im Zentrum der inhorgenta war rammelvoll.
Schuhplattler, Goaßlschnalzer, Volksmusik. Ein Mini-Oktoberfest. Hadi Yohl in
seiner kracherten Bayernuniform hatte seine Busbesatzung dorthin gebracht.
Zwischendurch gingen sie abwechselnd einmal fort, um ihre Ware anzubieten und
zu verkaufen. Je mehr das Geld im Säckel klingelte, desto mehr wurde im
Bierkönig ausgegeben.
Hadi legte es darauf an. Er wusste inzwischen, wie versessen seine
Freunde auf bayerische Bierseligkeit waren, und schmiss eine Maß Festbier nach
der anderen. Um zu bezahlen, nahm er eine Anleihe auf den zu erwartenden
Gewinn. Bald wussten Hadis italienische Freunde nicht mehr, wo ihnen der Kopf
stand. Er war entzückt. Alle waren glücklich und, bis auf den Fahrer,
stockbesoffen. Das machte die Sache einfacher. Einfacher für die Räuber und
einfacher für die Opfer.
Hadi Yohl fühlte sich locker und gelöst, kein bisschen nervös oder
aufgeregt. Freudig
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