Sakramentisch (German Edition)
Fiesta sprang an und ratterte los.
Sie hatten gewonnen.
In weniger als fünfundvierzig Minuten, dem Gegenwert einer Halbzeit,
sollten sie im Maxlrainer Forst sein. Werner sandte eine Erfolgsmeldung an
Hadis Mobiltelefon. Der musste sich, wenn alles normal gelaufen war, bereits
mit seinen Schmuckhändlern auf dem Weg zum Checkpunkt befinden.
VIERZEHN
Oft weiß man nicht, woher die Bilder kommen. Sie sind
einfach da. Hadi Yohl kannte das vom Schreiben. Zuerst kamen die Bilder, die
Worte folgten danach. Und schließlich hörte er auch die Worte, er sah sie auf
beschriebenen Seiten vor sich. Das war dann der Beginn einer neuen Geschichte,
eines neuen Kapitels, einer neuen Wendung, einer unvorbereiteten Figur.
Während die Italiener Mühe hatten, nach der inhorgenta lärmend in
den engen Opel zu klettern, musste Hadi plötzlich an Polín denken, die ihm im
Hotel Garstiger Bär über den Weg gelaufen war. Doch ihr Bild erschien nur kurz.
Es wurde von einem anderen weggewischt, das zuerst verschwommen und grau, dann
immer schärfer und farbiger auf die Rückseite seiner Iris projiziert wurde.
Der Fahrer stand gebückt vor der halb geöffneten Beifahrertür. Er
hatte die Arme auf den Rahmen gestützt, seine Lippen bewegten sich lautlos. Er
zählte seine Kundschaft ab und nickte jedes Mal kaum merklich, wenn wieder
einer in den kleinen Laster plumpste. Er zählte sieben Italiener und den
aufgebrezelten Bayern. Es konnte losgehen.
Noch keine Nachricht von den beiden. Hadi wurde etwas nervös. Er
hatte sein Handy in der Hand behalten und wartete auf das Vibrieren einer SMS -Empfangsnachricht.
Nichts. Er musste sich ablenken, um nicht nervös zu werden.
Er dachte an Marlena. Sie hatte ihn vor acht Jahren verlassen, nach
fast zehn Jahren Ehe. Er war jetzt neunundfünfzig, sie wäre im Augenblick also
sechsundvierzig. Marlena hatte von einer eigenen Karriere als Fitnesstrainerin
in der warmen Jahreszeit und Skilehrerin im Winter geträumt. Ihr Sportstudium
hätte sie eigentlich an ein Gymnasium befördern sollen. Doch nach zwei Jahren
Kampf mit den Schülern und Ärger mit dem Lehrerkollegium gab sie ihren
Beamtenstatus auf und wechselte in ein Fitnesscenter in München. Dort hatten
sie sich kennengelernt.
Dann hatte Marlena den Drang nach Süden. Sie jobbte in Italien, dann
in Spanien. Schließlich bekam er eine E-Mail aus Paraguay: »Ich arbeite auf
einer Farm und reite schon ohne Sattel.«
Er war sich darüber im Klaren gewesen, dass sie ein unruhiger Geist
war, als sie sich entschlossen zu heiraten. Das kriegen wir schon hin, hatten
sie gedacht, unsere Liebe ist stark. Aber sie hatten sich getäuscht. Als er
einmal von einer Lesereise durch Norddeutschland zurückkam, war sie nicht mehr
da. Er fand einen kurzen Brief, in dem sinngemäß stand: »Hadi, es tut mir leid.
Es hat einfach nicht geklappt mit uns. Es war trotzdem eine wertvolle Zeit.
Gut, dass wir keine Kinder haben. Mach’s gut. Meld dich mal.«
Besser als eine SMS , dachte er.
Er meldete sich nicht. Er hätte nicht einmal gewusst, wo er sie
hätte erreichen können. Ebenso wenig nahm sie wieder Kontakt auf.
Als ein paar Monate später die Scheidungspapiere kamen, unterschrieb
er sie und stieg tags darauf in einen Flieger nach Oslo, von dort in einen
kleineren nach Bodö ganz oben im Norden. Er wollte nichts wie raus. Nur mehr
Füchsen und Hasen und Elchen begegnen. Am besten nur männlichen.
Sie hatte nichts verlangt außer ihrer Freiheit, und er hörte nie
mehr etwas von ihr.
»Ey, was isse loss mit dir? Schlafs du?«
Er wurde wachgerüttelt. Jedenfalls schien es so. In Wirklichkeit war
Hadi hellwach und hatte jede Bewegung im dunklen Auto verfolgt. Bei allem
Tumult hatte er wieder seinen Platz in der letzten Reihe ergattern können. Er
griff hinter sich, rüttelte an seiner eingeklemmten Sporttasche und zog sie an
den langen Schlaufen aus dem Laderaum auf seinen Schoß. Der Rucksack lagerte
auf dem Boden vor ihm. Er hatte beide Füße darauf gestellt.
Sein Handy vibrierte.
»Alles okay«, las er. »Ersatzformel gefunden.«
Er schnaufte durch, nickte zufrieden und sah nach draußen. Er hatte
registriert, wie sie bei Haar auf die Bundesstraße eingebogen waren. Sie hatten
Grafing umfahren, wo seine Freunde Lucie und Günther Haschler in einem
wunderschönen Haus lebten, und folgten der wenig befahrenen Straße nach Süden.
Es überraschte Hadi, mit welcher Selbstverständlichkeit alles
glattlief. Dass Artur problemlos ein Ersatzauto besorgen
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