Sakramentisch (German Edition)
auf eine hohe Lichtung, wo er sich nach Lola und dem Haus
umdrehte.
Das Haus war verschwunden. Weit und breit keine Spur von dem Haus
und Lola. Doch der Ball rollte selbstständig auf den kleinen Joe zu und um ihn
herum, bis er zu schweben begann. Er schwebte über seinem Kopf, hatte keine
Tupfen und Streifen mehr, sondern eine Aufschrift, die wie von einer Tastatur
oder einer Schreibmaschine geschrieben einen Buchstaben nach dem anderen
heruntertippte.
»D-u f-e-h-l-s-t m-i-r-!«
Er langte nach dem Ball, wollte ihn greifen, doch der spielte Fangen
mit ihm, bis er emporstieg und im tiefblauen Himmel verschwand.
Joe begann zu weinen und schluchzte laut. Er war verzweifelt.
Dann stand auf einmal jemand neben ihm und nahm ihn in die Arme.
Doch er konnte nicht aufhören zu weinen.
Als KR Ottakring aufschreckte, war
sein Kissen nass, und er schluchzte immer noch. Draußen war es hell.
Er stellte Kaffee auf und ging ins Bad. Er putzte seine Zähne mit
einer solchen Wut, dass er die Bürste in die rechte Backe rammte. Er setzte
sich aufs Bett, legte die Backe in die warme Handkrümmung und tat sich leid.
Doch bald war er wach und wieder der Alte, und der schlimme Traum war
verflogen. Nur die Sehnsucht nach Weihnachtsbaum und Adventskranz, nach
Bratäpfeln, nach Glühwein und nach Lola waren geblieben.
Endlich hatte er die Ruhe gewonnen, sich Kaffee einzugießen und die
Zeitung zur Hand zu nehmen.
» DIE SAMARITERRÄUBER – Die
Überfallserie der letzten Monate scheint aufgeklärt, berichtet das
Polizeipräsidium Oberbayern Süd in Rosenheim.
Wie gemeldet hatten drei Männer im Dezember ein Trachtengeschäft im
Inntal, im Januar einen Flughafenbus mit italienischen Schmuckhändlern sowie
unlängst den Salon Kitty, einen Prominententreff in Schloßberg, überfallen.
Geldbeträge oder andere Gegenstände würden nicht vermisst, schilderte die
Inhaberin. Während der Tat brannte das Haus, wahrscheinlich verursacht durch
Blitzschlag, bis auf die Grundmauern ab. Die Untersuchungen dauern an.
Am Mittwoch dieser Woche wurde die gesamte Geldbeute aus den
Raubzügen im Städtischen Fundbüro abgeliefert (siehe Foto: Der Leiter des
Fundbüros, Wiggerl Mayer, links. Die Beute rechts). Die Kriminalpolizei steht
vor einem Rätsel. Noch nie in der Geschichte der oberbayerischen Polizei wurde
Raubgut auf diese Weise zurückgegeben. Es wird an die Geschädigten
zurückgeführt.
Einer der Räuber ist inzwischen an Herzversagen gestorben. Es soll
sich um einen ehemaligen Polizeimitarbeiter handeln, doch diese Meldung ist
unbestätigt. Er hinterlässt eine Enkelin, deren Eltern ebenfalls nicht mehr
unter den Lebenden weilen. Chili Toledo, Kriminalhauptkommissarin in Rosenheim,
kümmert sich bis auf Weiteres um die Betreuung dieses alleinstehenden Kindes.
Unbestätigte Meldungen besagen, dass das Motiv für die Überfälle die
Versorgung des Mädchens gewesen sei. Das Kind stünde jetzt ganz allein da auf
der Welt, heißt es.«
Ottakring seufzte und schenkte nach. Er las aus dem Bericht,
dass die Serie sich ihrem Ende näherte oder auf eine sehr ungewöhnliche Art
schon beendet war. Er hatte das in seiner Laufbahn nur ein einziges Mal erlebt,
dass ein reuiger Täter nach seiner Tat die Beute wieder abgeliefert hatte. Das
war in den achtziger Jahren in Taufkirchen gewesen, als dem Einbrecher im
Nachhinein bewusst wurde, dass er im Suff bei seinen Schwiegereltern
eingebrochen war. Deshalb war ihm das Terrain so bekannt vorgekommen. Und
deshalb übernachtete er noch am selben Tag in einem engen, kargen, vergitterten
Raum.
Seinem Nachfolger Rico Stahl wünschte Ottakring viel Glück und
rasches Handeln. Der Fall hatte ihn lange beschäftigt. Die Bürger hatten das
Gefühl, die Polizei sei an der Nase herumgeführt worden. Eigenartigerweise
erzeugte das ein Gefühl der Schadenfreude – und des Mitgefühls mit den Tätern.
Täglich flossen Leserbriefe an die Zeitung.
»Wann werden die Räuber endlich gefasst?«
»Keinerlei Spur von den Dirndlräubern.«
»Den Italienern wird’s nicht schaden!«
»Schmuckräuber gestorben! Schade.«
»Was geschieht jetzt mit dem Everl?«
Meldungen, dass Wohlhabende, Prominente und speziell Politiker
geschädigt werden, erzeugen Sympathie und Wohlgefallen, denn das Volk ist immer
mit den Schwachen. Da die Medien dem Volk dessen Meinung am Mund ablesen,
blasen Zeitungen und Fernsehen ins gleiche Horn.
Am nächsten Tag gleich in der Früh holte Ottakring die Zeitung aus
dem Briefkasten. Es gab
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