Salai und Leonardo da Vinci 01 - Die Zweifel des Salai
gehören könnte, scheint anhand der bildlichen Quellen keineswegs belegbar.
Die Kühnheit dieser linken Hand und die absolut atypische Eigenheit des Gemäldes, das auch wegen des Reichsapfels nicht als eine Anbetung der Könige identifiziert werden kann, sprechen somit für eine andere Vermutung: Auch diese Darstellung wurde nach dem Tod Alexanders VI. von denselben Verleumdern in Auftrag gegeben, die seit Jahren emsig an seinem negativen Mythos bastelten – um damit dem reformatorischen Impetus Luthers Material an die Hand zu geben, auf das er sich stützen konnte, mit dem er die Fliegenden Blätter füllen und schließlich die Massen, die der Kirche fernstanden, an sich binden konnte. Pinturicchio starb 1513, gut zehn Jahre nach Alexander VI. – er hätte also genug Zeit gehabt, um das diffamierende Porträt herzustellen. Es ist jedoch nicht gesagt, dass er persönlich den Auftrag erhielt, es zu malen. Bekanntlich wurden die Borgia-Gemächer im Vatikan nicht nur von Pinturicchio selbst, sondern auch von den zahlreichen talentierten Schülern seiner Werkstatt ausgemalt.
Diese Hypothese erklärt jedoch nicht, warum der Papst mit schmalen, weiblichen Händen gemalt wurde, die in so auffälligem Kontrast zu den fleischigen, ungeschlachten Händen auf dem berühmten Porträt Alexanders VI. stehen, das Pinturicchio in denselben Gemächern, in der Sala dei Misteri, malte. Zugegeben, auf der Kopie in Mantua hat das Profil des Papstes starke Ähnlichkeit mit dem seines Porträts in der Sala dei Misteri. Der Maler, der die verunglimpfende Kopie ausgeführt hat, war sorgsam darauf bedacht, genau das Bild zu kopieren, das es vom Borgia-Papst bereits gab, um seinem eigenen Gemälde mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Die fleischigen Hände aus der Sala dei Misteri aber konnte er so nicht reproduzieren. Denn die zarte linke Hand, die den Fuß des Heilands liebkost, gehörte ursprünglich zu einer anderen Gestalt, und dem Maler blieb nichts anderes übrig, als die Darstellung des Papstes an diese Hand anzufügen, die nicht die seine ist. Aber wem um alles in der Welt gehörte diese kühn platzierte Hand?
Dem Valentino vielleicht, oder seiner Schwester Lucrezia, die beide schmale Hände hatten? Oder jemand anderem, der geschmäht werden sollte? In diesem Fall wäre die Berührung des Fußes mit der linken Hand ursprünglich durchaus zum Zweck der Verleumdung gemalt worden, aber sie galt nicht dem Papst. Demnach wäre diese Figur erst zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich zwischen dem Tod des Papstes und den ersten Zeugnissen von Rabelais und Vasari durch diejenige des Papstes ersetzt worden, der in jenen Jahren religiöser Kämpfe ein besonders lohnendes Angriffsziel darstellte.
Kehren wir zu der Kopie von Mantua zurück, die damit als einziges Gemälde keine weiteren Geheimnisse birgt. Sie ist ausdrücklich zum Zweck der Verhöhnung und Diffamierung gemalt worden. Denn während die Haltung der Finger aller Gestalten in jeder Einzelheit identisch ist, hat der Maler das Gesicht des Jesuskindes deutlich deformiert: Er hat ihm eine hässliche, nach unten gebogene Nase gemalt (bei Pinturicchio hat es dagegen ein hübsches Stupsnäschen), die überdies bei einem Kind in diesem zarten Alter unvorstellbar ist, und er hat ihr große Ähnlichkeit mit der Nase des Vaters verliehen, wie auch die ganze Mimik des Gesichts darauf angelegt ist, dem Gesicht des Papstes zu ähneln. Es ist, als wollte der Maler dem Betrachter augenzwinkernd zu verstehen geben, dass dieses Kind ein Bastard des Borgia und der Farnese ist. Auch das Gesicht der Madonna ist unwahrscheinlich: Statt der traditionellen keuschen Ergebenheit der Jungfrau hat diese Madonna ein boshaftes Lächeln. Mehr noch: Der Papst betrachtet nicht das Kind, obwohl es ihn segnet, und er blickt auch nicht auf die Hand, die ihm den Segen erteilt. Der Blick des Papstes ist auf den Reichsapfel gerichtet, den das Kind in der Hand hält, als wollte er sagen: Die Macht, die ich durch dich erhalte, interessiert mich viel mehr als der Segen … Kurzum, dies ist kein sakrales Bild, es ist ein regelrechtes Pamphlet gegen Papst Borgia. Leider schweigen die Kunsthistoriker dazu.
Schlussfolgerung: Das Gemälde von Mantua hat sich als ein Akt der Diffamierung Alexanders VI. entpuppt und ist damit Teil der großen Kampagne, die dem Borgia mit Hilfe unzähliger Fälschungen Schaden zufügen wollte. Vom «Jesuskind der Hände» dagegen können wir sagen – nachdem wir uns zu diesem Zweck viele
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