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Salambo

Salambo

Titel: Salambo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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der niemanden im Stich ließ! „Morgen wird er kommen!“ tröstete man sich. Doch das „Morgen“ verging.
    Zu Anfang hatten die Söldner Gebete gesprochen, Gelübde getan, alle möglichen Verschwörungen angewandt. Jetzt aber empfanden sie gegen ihre Götter nur noch Hass, und aus Rache gab man sich Mühe, nicht mehr an sie zu glauben.
    Naturen von heftiger Gemütsart kamen zuerst um. Die Afrikaner widerstanden besser als die Gallier. Zarzas lag zwischen seinen Baleariern der Länge nach ausgestreckt, sein Haupthaar über den Arm geworfen. Er rührte sich nicht. Spendius hatte eine Pflanze mit breiten saftreichen Blättern entdeckt und nährte sich von ihr, nachdem er sie für giftig erklärt hatte, um andere davon abzuschrecken.
    Man war zu schwach, um durch Steinwürfe die umher fliegenden Raben zu töten. Zuweilen, wenn ein Lämmergeier auf eine der Leichen geflogen war und schon seit einer Weile daran herumhackte, kroch irgendeiner, mit einem Wurfspieß zwischen den Zähnen, an ihn heran, stützte sich auf eine Hand und, nachdem er lange gezielt hatte, schoss er seine Waffe ab. Der weiß gefiederte Vogel hielt inne, durch das Geräusch gestört, und blickte ruhig umher wie ein Seerabe auf einer Klippe. Dann hackte er mit seinem scheußlichen gelben Schnabel wieder in die Leiche, und der Schütze sank verzweifelt in den Sand. Manchen gelang es, Chamäleons und Schlangen ausfindig zu machen. Was aber eigentlich am Leben erhielt, das war die Liebe zum Leben. Alles Sinnen und Trachten war ausschließlich auf diesen einen Gedanken gerichtet. Man klammerte sich an das Dasein mit einer Willenskraft, die es verlängerte.
    Die Gleichmütigsten hockten hier und dort in dem weiten Tal im Kreise beisammen und überließen sich, in ihre Mäntel gehüllt, schweigsam ihrer Trübsal.
    Die in Städten Geborenen vergegenwärtigten sich geräuschvolle Straßen, Schenken und Schauspiele, Bäder und Barbierstuben, wo man Geschichten erzählen hört. Andere sahen in der Abendsonne Landschaften: gelbe Ähren wogten, und große Ochsen trotteten an der Pflugschar langsam die Höhe hinauf. Wüstenwanderer dachten an Oasen, Jäger an ihre Wälder, Veteranen an bestimmte Schlachten, und in der Schlaftrunkenheit, die alle betäubte, gewannen diese Phantastereien die Farben und die Plastik von Träumen. Sinnestäuschungen traten auf. Manche suchten an der Bergwand nach einer Tür, um zu entfliehen, und wollten durch den Fels hindurch. Andere glaubten, sie seien während eines Sturmes zu Schiff und erteilten Befehle an die Matrosen. Andere wieder wichen entsetzt zurück, da sie in den Wolken punische Heerscharen erblickten. Noch andere meinten, bei einem Fest zu sein. Sie sangen.
    Viele wiederholten infolge einer seltsamen Geistesstörung immer dasselbe Wort oder dieselbe Gebärde. Wenn sie dann den Kopf erhoben und einander anschauten, erstickten sie beim gegenseitigen Anblick ihrer furchtbar verstörten Gesichter in Tränen. Manche fühlten keine Schmerzen mehr, und um die Zeit zu verbringen, erzählten sie von Gefahren, denen sie entronnen waren.
    Allen war der Tod gewiss und nahe. Wie oft hatten sie nicht versucht, sich einen Ausgang zu schaffen! Sollten sie den Sieger um seine Bedingungen bitten! Aber durch welche Vermittlung? Wusste man doch nicht einmal, wo sich Hamilkar befand!
    Der Wind blies von der Schlucht her. Rastlos ließ er den Sand in Bächen in das Drahthindernis rieseln. Die Mäntel und das Haar der Barbaren bedeckten sich damit, als ob sich die Erde über sie hin wälze und sie begraben wolle. Nichts rührte sich. Die ewig starren Berge schienen jeden Morgen noch höher geworden zu sein.
    Bisweilen zogen Vogelschwärme in raschem Flug am klaren blauen Himmel über den Eingeschlossenen hin, in der Freiheit der Lüfte. Man schloss die Augen, um sie nicht zu sehen.
    Manche verspürten ein Summen in den Ohren. Dann wurden ihre Fingernägel schwarz, und Kälte ergriff die Brust. Sie legten sich auf die Seite und verschieden ohne Laut.
    Am neunzehnten Tage waren zweitausend Asiaten, fünfzehnhundert von den Inseln, achttausend Libyer, die Jüngsten unter den Söldnern und ganze Landsmannschaften tot, – insgesamt zwanzigtausend Mann, das halbe Heer. Autarit, der nur noch fünfzig von seinen Galliern hatte, wollte sich schon töten lassen, um allem Leid

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