Salambo
Einbildung, Hannos Rede doch verstanden zu haben, zum Zeichen ihrer Zustimmung wie in stummer Übereinkunft mit den Köpfen.
Da begann Spendius mit gewaltiger Stimme: „Zunächst hat er gesagt, die Götter der übrigen Völker seien neben Karthagos Göttern nur Phantasiegebilde. Er hat euch Feiglinge, Gauner, Lügner, Hunde und Söhne von Hündinnen genannt! Ohne euch – so hat er gesagt – wäre die Republik nicht gezwungen, den Römern Tribut zu zahlen, und durch eure Ausschreitungen hättet ihr die Vorräte an Wohlgerüchen, Gewürzen, Sklaven und Silphium erschöpft, denn ihr wäret im Einvernehmen mit den Nomaden an der Grenze von Kyrene! Aber die Schuldigen sollen bestraft werden! Er hat das Verzeichnis dieser Strafen verlesen. Man will sie beim Straßenpflastern, beim Schiffsbau und bei der Ausschmückung der Syssitien arbeiten lassen. Die übrigen sollen im Lande der Kantabrer in den Bergwerken Frondienste tun!“
Das gleiche wiederholte er den Galliern, den Kampanern, den Baleariern. Da die Söldner mehrere von den Eigennamen, die ihr Ohr bei Hannos Rede getroffen hatte, wieder heraushörten, so waren sie überzeugt, dass Spendius die Rede des Sufeten wortgetreu wiedergegeben habe. Etliche schrien ihm zwar zu: „Du lügst!“ Doch der Lärm der übrigen verschlang ihre Stimmen.
Spendius begann abermals: „Habt ihr nicht gesehen, dass er da draußen vor dem Lager eine Schwadron Reiter zurückgelassen hat? Auf ein Signal stürmen sie herbei, um euch alle zu erwürgen!“
Die Barbaren wandten sich nach der bezeichneten Richtung. Da, als sich die Menge gerade teilte, tauchte aus ihrer Mitte, langsam wie ein Gespenst, ein menschliches Wesen auf: tief gebückt, abgemagert, völlig nackt, bis zu den Hüften mit langen Haaren bedeckt, die von vertrockneten Blättern, Staub und Dornen starrten. Lenden und Knie waren mit Lehm, Stroh und Leinwandfetzen verbunden. Die welke erdfarbene Haut hing um seine fleischlosen Glieder wie Lumpen auf dürren Zweigen. Seine Hände zitterten und bebten beständig. Beim Gehen stützte er sich auf einen Olivenstock.
Bei den fackeltragenden Negern blieb er stehen, grinste wie ein Blödsinniger und ließ dabei sein blasses Zahnfleisch sehen. Mit großen verstörten Augen schaute er die Menge der umstehenden Barbaren an.
Plötzlich stieß er einen Schrei des Entsetzens aus, stürzte hinter sie und suchte Deckung hinter ihren Leibern. „Da sind sie! Da sind sie!“ stammelte er, auf die Leibwache des Sufeten weisend, die in ihrer glänzenden Rüstung unbeweglich harrte. Die Pferde, geblendet vom Schein der Fackeln, die in der Dunkelheit sprühten, stampften mit den Hufen. Das menschliche Gespenst wand sich im Krampf am Boden und heulte: „Sie haben alle erschlagen!“
Bei diesen Worten, in balearischer Sprache hervorgestoßen, traten die Balearier näher und erkannten in ihm einen Kameraden namens Zarzas.
Ohne ihnen zu antworten, wiederholte er: „Ja, erschlagen, alle, alle! Zerquetscht wie Trauben! Die schönen Jungen! Die Schleuderer! Meine Kameraden, meine und eure!“
Man flößte ihm Wein ein. Er heulte. Endlich fand er Worte.
Spendius vermochte seine Freude kaum zu verbergen, während er den Libyern und Griechen die grauenhaften Dinge verdolmetschte, die Zarzas berichtete. Er glaubte selbst kaum daran, so gelegen kamen sie ihm.
Die Balearier erbleichten, als sie vernahmen, wie ihre Landsleute umgekommen waren. Eine Schar von dreihundert Schleuderern, die erst am Tage vorher ausgeschifft worden waren, hatte die Stunde des Abmarsches verschlafen. Als sie auf den Khamon-Platz kam, waren die Barbaren schon ausgerückt, und sie sah sich wehrlos, da ihre Tonkugeln mit dem übrigen Gepäck auf die Kamele verladen waren. Man ließ sie durch die Sathebstraße marschieren bis zu dem doppelten, mit Erzplatten beschlagenen Tore aus Eichenholz. Dort hatte sich das Volk wie ein Mann auf sie geworfen.
Die Söldner entsannen sich nun, nach ihrem Abmarsch Geschrei gehört zu haben. Spendius, der bei der Spitze der Marschkolonne geritten war, hatte nichts gehört.
Die Leichen waren in die Arme der Götterbilder gelegt worden, die um den Khamon-Tempel herumstanden. Man schob den Ermordeten alle Verbrechen der Söldner in die Schuhe: ihre Gefräßigkeit, ihre Diebstähle, ihre Freveltaten, ihre Übergriffe und den Mord der Fische im Garten Salambos. Man verstümmelte die toten Leiber auf die schimpflichste Weise. Die Priester verbrannten das Haar, um die Seelen zu martern.
Weitere Kostenlose Bücher