Salambo
zu den Knöcheln hinab, an denen je zwei Zinnringe aneinander klirrten. Ihr etwas plattes Gesicht war gelb wie ihre Tunika. Auf ihrem Hinterkopf bildeten überlange silberne Nadeln eine Sonne. Unter der Nase trug sie einen Korallenknopf. So stand sie, starr wie eine Bildsäule, mit fast geschlossenen Lidern, neben dem Ruhebett.
Salambo trat an das Geländer der Terrasse. Einen Augenblick lang liefen ihre Blicke den Horizont ab, dann senkten sie sich zur schlummernden Stadt. Sie stieà einen Seufzer aus, der ihren Busen schwellte und das lange weiÃe spangen- und gürtellose Schleppgewand von oben bis unten durchbebte. Ihre Sandalen mit vorn aufwärts gebogenen Spitzen verschwanden unter einer Fülle von Smaragden, und ihr loses Haar wurde von einem Netz aus Purpurfäden zusammengehalten.
Nun hob sie den Kopf wieder und betrachtete den Mond. Indem sie Brocken aus Hymnen unter ihre Worte mengte, murmelte sie.
âWie leicht und leise wandelst du, aus den Fittichen des ungreifbaren Ãthers. Um dich herum schläft er. Erst deine Bewegung und dein Gang wecken die Winde und streuen fruchtbaren Tau aus. Je nachdem du zunimmst oder ab, werden die Augen der Katzen und die Flecken der Panther groà oder klein. In Kindesnöten schreien die Mütter deinen Namen. Du lässt die Muscheln schwellen, den Wein gären, die Toten zu Staub zerfallen. Du formst die Perlen im Meeresgrund.â
âO Göttin, alle Keime quellen in den dunklen Tiefen deiner Nebel. Wenn du erscheinst, flieÃt Frieden in die Welt hinab. Die Blumen schlieÃen sich, die Fluten schlummern ein, die müden Menschen strecken sich nieder, die Brust dir zugewandt, und die Erde mit ihren Meeren und Gebirgen schaut sich in deinem Antlitz wieder wie in einem Spiegel. Weià bist du, mild, licht, makellos, hilfreich, beseligend und heiter!â
In diesem Moment stand die Mondsichel über dem Berg der HeiÃen Wasser, 1 im Sattel zwischen seinen beiden Gipfeln, jenseits des Golfs. Unter ihr blinzelte ein kleiner Stern, und um sie herum schimmerte fahler Schein. Salambo fuhr fort:
âDoch bist du auch eine grausige Herrin! Durch dich entstehen die Ungeheuer, die schrecklichen Gespenster, die trügerischen Träume. Dein Blick nagt an den Steinen der Häuser, und die Affen werden krank, sooft du dich verjüngst. Wohin läufst du? Warum wandelt sich immerfort deine Gestalt? Als schmale Sichel schwimmst du wie ein Schiff ohne Mast durch den weiten Weltraum. Du hütest die Schar der Sterne, wie ein Schäfer seine Herde. Rund aber und im vollen Glanz gleitest du wie das Rad eines Wagens über den Kamm der Berge.â
âO Tanit, liebst du auch mich? Ich schaue so viel zu dir empor. Nein, nein! Du gehst deinen Gang im Himmelsblau, und ich bleibe auf der starren Erde.â
âTaanach, nimm die Harfe und rühre leise die silberne Saite, denn mein Herz ist traurig!â
Die Sklavin nahm das Nebal, eine Art Harfe aus Ebenholz, höher als sie selber und dreieckig wie ein Delta, stellte es mit der unteren Spitze in einen Glasnapf und begann mit beiden Händen zu spielen.
Die Töne folgten dumpf und ungestüm aufeinander wie Bienengesumm. Allmählich wurden sie heller und lauter und flohen in die Nacht hinaus, zu den wimmernden Wogen und den rauschenden hohen Bäumen auf der Kuppe der Akropolis.
âHör auf!â rief Salambo.
âWas hast du, Herrin? Der weiche Wind, der weiter weht, Wolken, die schon wieder weg sind, alles bewegt und erregt dich jetzt.â
âIch weià es nicht!â
âDu machst dich schwach durch zu viel Beten.â
âO Taanach, ich möchte in meinem Gebete zerflieÃen wie der Duft einer Blume im Wein.â
âVielleicht ist der Weihrauch daran schuld?â
âNein!â sagte Salambo. âIn den Wohlgerüchen wohnt die Seele der Götter.â
Da sprach die Sklavin von Hamilkar. Man glaubte, er sei nach dem Lande des Bernsteins gefahren, über die Säulen des Melkarth 2 hinaus. âUnd wenn er nicht wiederkommtâ, flüsterte sie, âdann musst du dir, wie es sein Wille war, unter den Söhnen der Alten einen Gatten wählen. In den Armen eines Mannes wird dann dein Kummer vergehen.â
âWieso?â
Die Männer, die Salambo bisher gesehen hatte, flöÃten ihr allesamt Furcht ein mit ihrem wilden Lachen und ihren plumpen Gliedern.
âTaanach, bisweilen steigt aus der Tiefe meines
Weitere Kostenlose Bücher