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Salambo

Salambo

Titel: Salambo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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nicht zuzulassen, und suchte sie mit Schmeichelworten zu besänftigen, wie man sie an einen Erzürnten zu richten pflegt.
    Da entdeckte Spendius über der Tür eine enge Öffnung. „Steh auf!“ sagte er zu Matho und hieß ihn sich mit dem Rücken an die Wand stellen. Dann setzte er einen Fuß auf Mathos Hände, den anderen auf seinen Kopf, gelangte dadurch an das Luftloch, schlüpfte hinein und verschwand. Einen Moment später fühlte Matho auf seine Schulter den mit Knoten versehenen Strick fallen, den Spendius sich um den Leib gewickelt hatte, ehe sie sich in die Zisternen gewagt hatten. Der Libyer klomm mit beiden Händen daran empor, und bald sah er sich an der Seite seines Gefährten in einer weiten dunklen Halle.
    Ein derartiger Tempeleinbruch war etwas ganz Ungewöhnliches. Die Unzulänglichkeit der Schutzvorrichtungen zeigte allein schon, dass man damit überhaupt nicht rechnete. Furcht schützt Tempel besser als alle Mauern. Matho war bei jedem Schritt auf seinen Tod gefasst.
    Ein Lichtschein schimmerte matt aus dem Dunkel heraus. Die beiden gingen darauf zu. Es war ein brennendes Lämpchen in einer Muschel vor dem Sockel eines Standbildes, dessen Haupt eine Kabirenkappe trug. Das lange blaue Gewand war mit kleinen Mondscheiben aus Brillanten übersät. Die Füße waren an Ketten befestigt, die in die Steinfliesen eingelassen waren. Matho unterdrückte einen Schrei. „Ah, hier! Tanit!“ stammelte er. Spendius nahm das Lämpchen, um damit zu leuchten.
    â€žWie gottlos du bist!“ murmelte Matho. Trotzdem folgte er ihm.
    Das Gemach, das sie nun betraten, enthielt nichts als ein schwarzes Wandgemälde, das eine Frau darstellte. Die Beine liefen an der einen Wand empor, und der Leib reichte über die Decke hinweg. Vom Nabel hing an einer Schnur ein riesiges Ei herab. An der anderen Wand neigte sich der Körper hinab, mit dem Kopfe nach unten, so dass die Fingerspitzen den Steinboden berührten.
    Um weiter zu gelangen, schlugen sie einen hängenden Teppich zurück. Der Luftzug blies ihr Licht aus.
    Nun irrten sie in den labyrinthischen Räumen des Gebäudes umher. Plötzlich fühlten sie etwas Weiches unter ihren Füßen. Funken knisterten und sprühten. Sie schritten wie durch Feuer. Spendius betastete den Boden und erkannte, dass er kunstfertig mit Luchsfellen ausgeschlagen war. Dann war es ihnen, als ob ein dickes, kaltes, feuchtes und klebriges Seil zwischen ihren Beinen hin glitt. Durch schmale Spalten im Mauerwerk drangen dünne weiße Lichtstrahlen. In diesem Dämmerdunkel schritten sie weiter. Da erkannten sie eine große schwarze Schlange. Sie schoss schnell vorbei und verschwand.
    â€žHinweg!“ schrie Matho. „Da ist sie ... ich fühl es ... sie kommt!“
    â€žAch was!“ entgegnete Spendius. „Sie ist nicht mehr hier!“
    Blendendes Licht zwang sie jetzt, die Augen niederzuschlagen. Dann erblickten sie rings an den Wänden eine Unmenge von Tierabbildungen, die sich in geheimnisvollem, fürchterlichem Wirrwarr durcheinander drängten: Schlangen mit Füßen, geflügelte Stiere, Fische mit Menschenhäuptern, die Früchte verzehrten, Krokodile, aus deren Rachen Blumen sprossen, und Elefanten mit erhobenem Rüssel, die kühn wie stolze Adler durch die blaue Luft schwebten. In grässlicher Kraftentfaltung reckten alle ihre unvollständigen oder verdoppelten Glieder, und auf ihren hervor schießenden Zungen schienen sie ihre Seele ausspeien zu wollen. Alle Formen und Gestalten waren hier dargestellt, als wäre die Büchse der Urkeime plötzlich geborsten und hätte sich über die Wände dieser Halle ergossen.
    Zwölf Kugeln aus blauem Kristall standen im Kreise an den Wänden, von Ungeheuern in Tigergestalt getragen. Ihre Augen quollen weit vor, wie die der Schnecken. Ihre stämmigen Leiber krümmten sich, und ihre Köpfe wandten sich dem Hintergrund zu, wo auf einem zweirädrigen Elfenbeinwagen die göttliche Astarte thronte, die Allbefruchterin, die zuletzt Erschaffene.
    Von den Füßen bis zum Bauche war ihr Leib mit Fischschuppen, Federn, Blumen und Vögeln bedeckt. Als Ohrgehänge trug sie silberne Zimbeln, die ihre Wangen berührten. Ihre großen Augen blickten starr, und auf ihrer Stirn glänzte, in ein Symbol ihres weiblichen Geschlechts gefasst, ein leuchtender Stein, der den ganzen Saal erhellte und sich

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