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Sally

Sally

Titel: Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Päsler
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eine SMS, in der er sich bedankte. Und ein Anruf keine vierundzwanzig Stunden später.
    »Ich bin’s, Jens.«
    »Ja?«
    Stille am anderen Ende der Leitung.
    »Na, Jens, wie geht es dir denn? Willst du mich wieder besuchen?«
    Er sagte, dass er das gerne tun würde, aber dass die Miete für sein WG-Zimmer sein ganzes Geld verschlingen würde, dass seine Eltern keine Möglichkeit hätten, ihn zu unterstützen und dass sein Nebenjob in einer Kneipe nur mühsam sein tägliches Leben finanzierte.
    »Luxus ist bei mir nicht«, sagte er traurig.
    Ich seufzte innerlich. Auch für ihn waren neunzig Euro viel Geld.
    Wir plauderten über seine Pläne, sein Leben. Je mehr ich redete, desto ruhiger wurde der Junge. Ich hörte ihn tief einatmen. Noch einmal.
    »Jens, alles okay?«
    »Mhm.«
    Plötzlich waren klatschende Geräusche im Hintergrund zu hören.
    »Jens, bist du noch dran?«
    »Ja, ja«, sagte er rasch. »Red nur weiter. Ich hör dir gerne zu.«
    Plötzlich war mir alles klar.
    »Jens, ich biete keinen Telefonsex an«, sagte ich streng.
    »Nein, nein, ich weiß. Will ich ja auch nicht. Es ist nur … ich hab einfach keine Kohle.« Er stöhnte. »Deine Stimme ist so … erzähl doch einfach irgendwas. Bitte!«
    Kein Geld. Das kannte ich gut. Er tat mir leid. Ich tat mir selber leid. Also tat ich ihm den Gefallen. Es würde mich nur fünf Minuten kosten. Ich fragte ihn, was ihm bei seinem Besuch bei mir so gut gefallen habe und was er noch alles gerne mit mir tun würde. Er krächzte, wie prall sein Schwanz sei, wie er ihn in der Hand hielt und wie er sich meine Nägel darauf vorstellte. Aber er konnte den Satz kaum beenden. Als ich auflegte, dachte ich an seine Kinderhaut. Und an all die Mütter, die für ihre Kinder alles tun würden.

1
    APRIL 2009. Das Telefonat verlief etwas unbeholfen.
    »Guten Tag, äh …«, begann ich.
    Ich wusste nicht, ob man sich mit seinem Namen melden sollte. Lieber nicht, entschied ich. Ich wählte den gleichen Tonfall wie bei den Gesprächen mit potenziellen Kunden im Direktmarketing.
    »Ich beziehe mich auf Ihr Online-Inserat. Bezüglich einer, wie Sie schreiben, nicht ausgebildeten Masseuse. Darf ich fragen wie … also, mich würde Ihr Angebot gegebenenfalls interessieren. Ich wollte fragen, wie Ihre Annonce gemeint ist?«
    Ganz kurz fragte ich mich, ob ich total verrückt geworden war. Dann fielen mir die Kupfermünzen ein, die sich gemeinsam mit einer Büroklammer als letztes Barvermögen in meinem Portemonnaie befanden. Dort, wo normalerweise die Scheine steckten, waren nur Rechnungen und Belege. Bei der Bank ging gar nichts mehr. Als sich mein Mann als Finanzberater selbständig gemacht hatte, hatte uns die Bank noch eine Tasse mit ihrem Logo und dem Aufdruck »Mein erstes Chefhäferl« geschickt. Wenig später hatte sie uns nicht einmal informiert, als sie unsere Konten gesperrt hatte, und inzwischen ließ sich unser Bankbetreuer verleugnen. Ich war durch das Haus gestreift und hatte in sämtlichen Schubladen, Schalen und Schränken nachgesehen, in denen in guten Zeiten immer ein bisschen Geld herumgelegen war. Aber nach dem dritten Versuch war auch der letzte Notgroschen verbraucht gewesen. Ich hatte mich sogar bei dem Gedanken ertappt, die Taschengeldvorräte der Kinder zu plündern. Das Allerschlimmste war die Zeit. Sie arbeitete unaufhaltsam gegen mich. Die Zeit brachte kein Geld, aber sie brachteHunger. Unweigerlich würde der Moment kommen, in dem die Kinder zum ersten Mal vor leeren Tellern sitzen und mit einem Schlag die wahre Dramatik unserer Lage begreifen würden.
    Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Dann hörte ich die laute Stimme eines älteren Mannes.
    »Wie meine Annonce gemeint ist? Du sollst mich eben massieren. Wie siehst du denn aus?«
    Was mein Aussehen mit einer Massage zu tun habe, wollte ich wissen, und ob ich einen Massagetisch mitbringen solle.
    »Den brauchen wir nicht«, sagte der Mann leicht amüsiert. »Im Bett geht es besser. Wie alt bist du?«
    Ich machte mir über eine Massage, für die ein Mann dreihundert Euro zu zahlen bereit war, keine Illusionen. Dennoch konnte ich mir kein klares Bild davon machen. Es war, als würde sich mein Kopf weigern, eine entsprechende Vorstellung zu entwickeln. Sex bei alten Männern, das war so eine Sache. Bekanntermaßen funktionierte es nicht mehr so richtig. Das hieß noch lange nicht, dass sie nicht mehr wollten. Manchmal war bei meiner Arbeit als Pflegerin ein Knopf meines weißen Schwesternkittels

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