Sally
er. »Wer von uns ist nie da? Wer musste gestern auf die Kinder aufpassen?«
Er griff nach seiner Jacke.
»Warte!«, rief ich verzweifelt. »Lass uns reden. Wie soll das alles weitergehen?«
»Was meinst du?«
»Was tust du den ganzen Tag? Wir sind pleite. Ich habe nicht einmal mehr Geld fürs Essen.«
»Was tust du dann die ganze Zeit mit Linnerth?«
Ich erstarrte. Oben tobten die Kinder.
»Hör auf damit!«, schrie ich. »Ich tue, was ich kann. Ich arbeite Tag und Nacht, ich kümmere mich um die Kinder, um den Haushalt, um die Leasingraten …«
»… und um Linnerth?«
Das Blut stieg mir in den Kopf.
»Dann stimmt es also?«
»Bitte, lass uns gemeinsam für alles eine Lösung finden?«
»Das glaubst du ja selber nicht.«
Ausdruckslos starrte er mich an. Sekunden später knallte die Haustüre. Reifen quietschten. Weg war er.
»Mama, hast du Sex mit Onkel Anton gehabt?«
Anke stand im Türrahmen. Sie hatte offenbar den letzten Teil unseres Streits mitbekommen. Ich wischte mir hastig über die Augen. Was sollte ich ihr erzählen?
»Ach Mama«, sagte sie da. »Das kann doch jedem passieren!«
Sie lachte mich aus ihrer Kinderseele an. Dieses Mädchen,meine Tochter, erstaunte mich immer öfter. Ich dachte daran, dass ich keine Ahnung hatte, was ich ihr morgen zu essen geben sollte.
In der darauffolgenden Nacht lag ich still da. Im Haus war es ruhig. Ich hatte alles mit mir geklärt. Ich hatte keine Perspektive mehr. »Dann such dir eben einen Job«, hätten meine Eltern gesagt, aber das hatte ich mir schon oft genug überlegt. Eine Vollzeitstelle hätte ich wegen der Kinder nicht annehmen können. Die besseren Teilzeitjobs, die für mich in Frage kamen, hätten höchstens tausend Euro netto im Monat abgeworfen und ich hätte dafür nach Wien pendeln müssen. Wieder und wieder hatte ich den Verkauf des Hauses durchgerechnet. Wenn sich Mario und ich die danach verbleibenden Schulden geteilt hätten, wären sechzigtausend Euro auf jeden entfallen. Der Fremdwährungskredit, mit dem wir unser Heim finanziert hatten, hatte uns noch tiefer in die Katastrophe hineingeritten. Wie ich es auch drehte und wendete, wenn wir verkauften und eine Wohnung mieteten, blieb uns zum Leben auch nicht mehr und die Kinder hätten nach den langen Monaten des Streits zwischen ihren Eltern auch noch ihre vertraute Umgebung verloren. Die Situation war ausweglos. Ich spürte, dass ich nicht mehr konnte. Ich konnte nicht einmal mehr so tun als ob. Ich war fertig mit der Welt. So wollte und konnte ich nicht weitermachen. Es war zwei Uhr früh. Ich sollte hinunter ins Atelier. Zwei Hosen und zwei Hemden waren noch zu nähen. Sie waren schon zugeschnitten, doch ich würde sie nicht fertig machen. Es war vorbei. Ich hatte auf allen Linien versagt.
An meine lieben Kinder und an meinen geliebten Mann! Es tut mir unendlich leid, nicht die richtige Art und Weise gefunden zu haben, für E uch da zu sein. Ich habe versagt und kann mir das nicht verzeihen. Ich will nicht bitter sein und auch keine Ausreden suchen, aber Du, Mario, hast mir keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt. Was auch immer ich versucht habe, ich konnte Dich nicht mehr erreichen. Jeder Haushälterin wird mehr Aufmerksamkeit zuteil, als ich sie von Dir bekommen habe. Jedem Kindermädchen wird gedankt, wenn die Kleinen sauber und ordentlich bereitstehen, und jede Hure bekommt für ihre Dienste wenigstens Geld. Ich bereue es trotzdem, keine bessere Ehefrau und Mutter gewesen zu sein. Meine Freude an diesem Leben, die vielleicht nie sehr groß war, ist nun endgültig erloschen. Kinder, bitte verzeiht mir mein Tun, ich werde Euch immer lieben. So wenig Ihr das in diesem Moment vielleicht verstehen wollt, so wird doch nur mein Körper von Euch gehen. In Euren Herzen werde ich immer bei Euch sein. Die Zeit wird Eure Wunden heilen. Dort, wo ich sein werde, verspreche ich, zu lachen und fröhlich zu sein, während ich auf eine andere Art bei Euch bin. Eure Mutti, Deine Frau.
Ich ließ den Zettel auf dem Wohnzimmertisch liegen, schlich nach oben, wo die Kinder tief schliefen und küsste sie. Danach schloss ich leise die Tür hinter mir. Draußen wedelte Bobby freundlich mit dem Schwanz. Ich unterdrückte ein paar Tränen und hätte ihm beinahe wie gewohnt die Heckklappe zum Kofferraum geöffnet. Aber diesmal würde er zu Hause bleiben müssen. Er war immer an meiner Seite gewesen und in einsamen Nachtstunden hatte ich oft mit ihm gesprochen. Ich kraulte meinem Hund ein letztes Mal
Weitere Kostenlose Bücher