Sally
verging.
Aufs Klo? Ich sah ihn ratlos an.
»Bitte pinkle mich an«, sagte er unvermittelt.
Ich erschrak. Das konnte ich beim besten Willen nicht. Auch nicht für Geld.
»Es tut mir ehrlich leid, aber das kriege ich bestimmt nicht hin«, sagte ich.
Ich stammelte, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben auf ein Inserat wie das seine reagiert hätte. Aber er schien meine Ausflüchte gar nicht zu hören und holte noch mehr Kaffee aus der Küche. Meine Blase war auch so bereits voll, aber ich konnte unmöglich auf diesen alten Herrn urinieren. Er brachte mich in verschiedene Positionen, aber es funktionierte nicht. Zu guter Letzt willigte er ein, dass ich ihn doch einfach massieren sollte. Ich hatte das Gefühl, auf sicheres Terrain zurückzukehren. Was jetzt noch kam, würde ich im Griff haben. Es würde das Wagerl-Programm mit Extras sein.
»Das ist das ehemalige Kinderzimmer meines Sohnes«, sagte er, nachdem er mich durch die Wohnung geführt und eine Tür geöffnet hatte.
Er legte sich auf das schmale Bett. Er fühlt sich wohl sehr alleine und genießt es, dass sich jemand mit ihm beschäftigt,dachte ich. Ich massierte ihm den Rücken, das Gesäß und die Schenkel, so wie ich es bei Herrn Wagerl und all meinen früheren Patienten schon oft getan hatte. Das Extra bestand in dem Wunsch, den ich Herrn Wagerl immer verwehrt hatte. Ich massierte seinen Penis, der die ganze Zeit über schlaff blieb.
Es war mir ziemlich egal. Als Altenpflegerin hatte ich schon öfters den Penis eines alten Mannes gewaschen. Es gab eine genaue Anleitung dafür. Man musste die Vorhaut zurückziehen, um überall hinzukommen. Wichtig war es, die Eichel zur Gänze von dem oft gelblich verfärbten Smegma, einer Absonderung der Eichel- und Vorhautdrüse, zu reinigen. Dieser Bereich gehörte anschließend gut abgetrocknet, damit keine Infektionen entstehen konnten.
Der wesentliche Unterschied bestand darin, dass dieser Alte kam. Auf einmal keuchte er erleichtert auf. Ich schätzte, dass der Zeiger der Küchenuhr inzwischen zumindest zehn Mal gesprungen sein musste.
»Du bist so lieb. So hat mich schon lange niemand mehr angefasst«, sagte er.
Ich säuberte ihn mit der Küchenrolle, die er gleich zu Beginn bereitgestellt hatte. Die dreihundert Euro lagen aufgefächert neben meiner Handtasche auf einem kleinen Schuhschrank, auf dem auch ein Kinderfoto seines Sohnes stand. Der Junge hatte blondes lockiges Haar und erinnerte mich ein wenig an Georg.
Nachdem ich die Spuren seiner Lust penibel mit den Papiertüchern beseitigt hatte, bot mir der alte Mann sein Badezimmer an. Ich duschte, wusch mich gründlich und nahm die Geldscheine. Als ich mich bei ihm bedankte, war auch er wieder vollständig angezogen und drückte mir einen feuchten Kuss auf die Wange.
»Wenn das wirklich dein erstes Mal als erotische Masseuse war, dann bist du ein Naturtalent«, sagte er.
Er wünschte mir beim Abschied viel Glück.
Mit einem knappen Gruß und ohne Blick zurück ging ich. Das hier war kein Zeitpunkt für Sentimentalitäten. Geld gegen Leistung. Cash, bar auf die Hand. So hatte er es in seinem Inserat gewollt.
Euro 300,–. Gut situiertes älteres Semester sucht liebevolle Masseuse für Hausbesuch. Vorkenntnisse nicht erforderlich.
Ich hatte es auf der gleichen Plattform gefunden, auf der jene Liebesdienerinnen inserierten, die ich vor Kurzem noch für das Direktmarketing abwerben wollte. Aber das war nicht nur in einer anderen Welt gewesen, sondern auch in einer anderen Ewigkeit.
2
APRIL 2009. Ich hielt vor einem Kaffeehaus in der Nähe. Heißer Kaffee mit viel Milchschaum war für mich schon immer reines Glück gewesen. Ich wusste nicht mehr, wann ich mir das zum letzten Mal geleistet hatte. Die dreihundert Euro legte ich vor mich auf den Tisch. Sie waren meine Beute. Es war, als wäre gar nichts passiert.
Ich nahm einen großen Schluck und starrte auf das Geld wie auf ein Wunder. Langsam glitten meine Fingerspitzen über die Kanten der Scheine. Anke brauchte eine neue Zahnspange. Georg würde bald seinen ersten Schultag haben und sollte wie alle anderen Kinder eine Schultüte bekommen. Und ja, es war wirklich alles in Ordnung. Es war nicht einmal halb so schlimm gewesen, wie ich gedacht hatte. Bei meinen Pflegepatienten war mir manches am Anfang schwerer gefallen.
Ich stellte Hochrechnungen an. Dreihundert Euro für eine Stunde. Wie oft musste ich das tun, um mit den Kindern überleben zu können? Ich fühlte mich auf einmal wie unter Drogen.
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