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Sally

Sally

Titel: Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Päsler
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antwortete ich erstaunt.
    »Du hast mich zum Computer gerufen, deshalb bin ich da.«
    »Aha«, sagte ich. »Und wie bitte kann ich dich rufen?«
    »Ich habe deine Energie gespürt.«
    Er erzählte mir, dass er heilerische Fähigkeiten habe. Wenn er einem Menschen die Hand auflege, spüre er, was diesem Menschen fehle. Er wäre in seine hohe berufliche Position gekommen, weil er Menschen einschätzen könne und wisse, wie er sie ansprechen müsse, und weil er die Kraft habe, sie zu lenken.
    »Was sind deine Fähigkeiten?«, fragte er mich.
    »Ich habe keine Fähigkeiten«, sagte ich. »Ich bin Liebeskünstlerin, und das bin ich eher notgedrungen.«
    »Aber das ist doch eine wunderbare Fähigkeit. Ich spüre und sehe deine Kunst. Massiere mich bitte.«
    Während der Massage, die keinerlei erotische Aspekte hatte, redete er mit mir. Ich sei eine Anfängerin, sagte er, ich müsse lernen, meine Gabe besser einzusetzen und meine Kräfte zu kontrollieren und zu lenken. Bei der Massage selbst wollte er sich ständig einmischen.
    »Lass das«, sagte ich schließlich leicht genervt. »So kommt meine Massage nicht zur Entfaltung.«
    »Entschuldigung«, sagte er. »Ich bin es gewöhnt, der gebende Teil zu sein. Dann eben zuerst du und dann ich.«
    Er blieb über drei Stunden und wir massierten uns ohne intime Berührungen die ganze Zeit über gegenseitig. Er vermittelte mir ein Gefühl tiefen Vertrauens. Zum ersten Mal schlief ich in Gegenwart eines Kunden ein. Ich hätte niemals gedacht, dass mir das je passieren könnte.
    Als ich erwachte, machte er mir ohne viele Worte noch einmal klar, dass das Besondere an meiner Arbeit nicht auf meiner Einbildung beruhte. Ich hätte eine Gabe und diese Gabe müsste ich nützen. Ich fühlte mich auf einmal wie eine Eingeweihte. Alles ergab mit einem Mal irgendwie Sinn. Die dreihundert Euro für die drei Stunden nahm ich hinterher trotzdem. Ich brauchte das Geld einfach.

PLANUNGSFEHLER
    DIENSTAG, 16. MÄRZ 2010, 11:30 UHR. Ich hatte schon immer Probleme mit Zahlen, besonders wenn ich unter Zeitdruck stand. Das schlug sich manchmal leider auch in meiner Terminplanung nieder. Wenn jemand halb elf sagte und 10:30 Uhr meinte, notierte ich gerne 11:30 Uhr, weil ich offensichtlich nur die elf wahrnahm. Auf die Art passierte es eines Tages, dass zur gleichen Zeit zwei Herren – beide waren mir unbekannt – vor meiner Tür standen. Der eine sah aus wie Wladimir Putin. Er war klein und gedrungen und hatte den gleichen entschlossenen Gesichtsausdruck. Der zweite Kunde war der Typ gutmütiger Riese. Er trug starke Brillengläser und war etwas dicklich.
    »Meine Herren«, sagte ich, nachdem ich sie der anderen Hausbewohner wegen beide ins Vorzimmer gebeten hatte. »Es tut mir schrecklich leid. Und ich habe größtes Verständnis, wenn Sie in dieser Situation lieber nach Hause gehen und nie mehr wiederkommen, aber ich kann nur einen nach dem anderen bedienen. Wenn Sie beide also bleiben wollen, würde sich die Frage stellen, wer von Ihnen eine Stunde warten könnte.«
    Gespannt wartete ich auf Antwort. Ich finde das Konkurrenzverhalten zwischen Männern immer wieder amüsant. In dieser immer komplizierter werdenden Welt sind einfach durchschaubaren Dinge bisweilen angenehm. Und diese beiden Männer waren einfach durchschaubar.
    Putins Double reckte sogleich das Kinn vor, plusterte den Oberkörper auf und drängte an mir vorbei, sobald ich den letzten Satz zu Ende gesprochen hatte.
    »Der erste Termin gehört mir«, stieß er knurrend hervor und verschwand im Massagezimmer.
    Zerknirscht sah ich den anderen an.
    »Kein Problem«, winkte der ab. »Dann warte ich eben.«
    Ich schickte den Sturkopf unter die Dusche und bearbeitete anschließend seinen harten, drahtigen Körper.
    »Wissen Sie, ich bin nicht der Typ, der sich hinten anstellt«, knurrte er. »Ich bin ein Alphatier, und das ist auch nicht immer angenehm.«
    »Das sieht man Ihnen gleich an«, sagte ich, nach meinem kleinen Fehler bemüht, seinem Ego zu schmeicheln.
    »Wie konnte der Typ ernsthaft glauben, dass er als Erster dran sein könnte?«, brummte er weiter.
    So weit ich das beurteilen konnte, hatte »der Typ« das zwar gar nicht geglaubt, trotzdem antwortete ich freundlich: »Sie haben sich ja gekonnt durchgesetzt.«
    Leicht tat ich mir bei dem Mann allerdings nicht. Er war ziemlich verspannt und alles an ihm schien darauf ausgerichtet zu sein, in jeder Hinsicht möglichst rasch zu kommen. Als er ging, war es mir trotzdem gelungen, ihn

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