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Sally

Sally

Titel: Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Päsler
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experimentierte ich mit der Liebesbedürftigkeit meiner Kunden. Immer wieder hatte ich diese Sehnsucht hinter ihrer Gier gespürt, und jene Männer, bei denen ich dieses Bedürfnis erfolgreich angesprochen hatte, waren am glücklichsten gegangen und am ehesten wiedergekommen. Bei ihnen war es nicht mehr um Ficken gegangen, sondern um Berührung und um Zärtlichkeit, um Dinge also, die ich mit einer speziell darauf ausgerichteten Massage, die den Intimbereich inkludierte, anbieten konnte. Manchmal, wenn ich jemanden konzentriert und intensiv berührte, konnte ich diesen Menschen durch und durch spüren. Ich spürte nicht nur den Druck meiner Hände auf seiner Haut, sondern auch die Begegnung meiner Energie mit seiner Seele. Wenn ich es manchmal zulassen konnte, dass mich ein willkürlich ausgesuchter Mann umarmte, konnte ich ihn im selben Moment auch glücklich machen. Ich öffnete mich zunehmend dieser Art von Begegnung und experimentierte damit.
    Während mich Susanne auf eine der vielen im Milieu gebräuchlichen Marken reduziert hätte, auf Sally, die Hausfrauenhure mit Herz, fühlte ich mich weiter als in Not geratene Mutter, die im tiefsten Wellental ihres Lebens Bedürftigen Liebe für Geld gab, ohne darüber nachzudenken, wie wenig Liebe ihr selbst geblieben war. Und ich nahm diese Rolle ernst. Ich recherchierte im Internet, stieß auf den Begriff Tantra und setzte mich damit auseinander, bis ich mir einen Überblick verschafft hatte. Tantra hat etwas mit Hingabe zu tun. In dem Moment, in dem man sich beim Tantra-Sex aufrichtig füreinander öffnet, nehmen die Seelen zweier Menschen Kontakt miteinander auf. Dabei muss es gar nicht zu herkömmlichem Geschlechtsverkehr kommen. Im Indischen bedeutet Tantra so viel wie: der Schlüssel zur Weisheit. Wer die tantrische Art der Verschmelzung erreicht, erlebt den kosmischen Orgasmus, ein Gefühl wie eineUmarmung der ganzen Welt. Manchmal konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass ich vieles von dem, was ich über Tantra las, selbst geschrieben haben könnte. Die landläufigen klassischen Massagetechniken – vor allem im medizinischen Bereich – behandeln den menschlichen Körper vom Hals bis zu den Lenden. Bei der Lymphdrainage oder bei Sportmassagen werden auch noch die Beine berücksichtigt. Po und Brüste werden ausgelassen, vom Schambereich ganz zu schweigen. Aus eigener Erfahrung als Krankenpflegerin wusste ich sehr wohl, wie versteckt erotisch eine medizinische Massage sein konnte. Einer der wesentlichen Unterschiede zur Tantra-Massage bestand also darin, dass ich nicht mehr beschämt zu Boden blicken musste, wenn ein Mann bei der Massage eine Erektion bekam.
    Ich entwickelte meine eigene Massageform weiter und brachte meine von der Schneiderei hoch entwickelte Feinmotorik, Sensibilität und Hygiene sowie meine Erfahrungen als Pflegerin ein. In meinen Inseraten bot ich jetzt offensiv Zärtlichkeit an und versuchte bei der Wahl meiner Kunden jene zu vermeiden, die mich nur als Anlaufstelle für ihre Triebbefriedigung betrachteten. Ich verließ mich dabei auf mein Bauchgefühl und ich wurde immer besser darin.
    Der Weg, den ich beschritt, war ungewiss, ich lernte von Kunde zu Kunde dazu, beobachtete die Reaktionen der Männer, lernte sie einzuschätzen und hoffte, dass mich diese Kenntnisse eines Tages aus der Prostitution herausführen würden, ohne zu wissen, wie das geschehen sollte.
    Die anderen Bewohnerinnen des Wiener Hauses kümmerten sich kaum um mich. Bloß ein alter Mann sprach mich einmal an.
    »Ich weiß genau, was Sie da tun«, sagte er.
    »Ach so? Warum kommen Sie dann nicht auf einen Sprung vorbei?«, lachte ich.
    Danach redete er mich nie wieder schief an.
    Moralische Unterstützung gewährte mir Snejana, die Hausmeisterin, eine Ex-Prostituierte, die vor vielen Jahren nach Wien gekommen war und jetzt kurz vor ihrer Pensionierung stand. Sie kehrte den Hof, schrubbte das Treppenhaus, putzte die Fenster, und wenn ich ihr zehn Euro gab, putzte sie meine gleich mit.
    Mein wirtschaftlicher Plan bestand nun darin, an zwei Tagen die Woche genug zu verdienen, um mit eisernem Sparen irgendwann mir und meinen Kindern die Freiheit von Mario erkaufen zu können. Wie das genau funktionieren sollte, wusste ich allerdings noch nicht, aber bis auf einen Milchkaffee ab und zu und die zehn Euro für Snejana gab ich keinen Cent zu viel aus. Von der Konjunktur war jedenfalls kein Rückenwind zu erhoffen. Griechenland stand vor der Pleite, und niemand wusste,

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