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Sally

Sally

Titel: Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Päsler
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war, legte er eine gewisse Intelligenz an den Tag. Das war die wichtigste Voraussetzung, um die fehlenden Tugenden noch zu erlernen. Ich wollte ihn dabei unterstützen.
    Nach einem Jahr Vorbereitungszeit feierten wir eine Traumhochzeit in dem in der Nähe meines Heimatortes gelegenen Schloss Gloggnitz. Ich heiratete in einem weißen Kleid mit Schleier, das ich in einem sündteuren Brautmodengeschäft gekauft hatte. Hundert Gäste kamen. Die Tischdekoration hatte die gleiche Farbe wie die Blumenkränze der Brautjungfern. Ich werde nie vergessen, wie mein Vater Mario an den Schultern packte, so wie ein erfahrener Mann einen jungen Kerl packt. »Mach mir keine Schande«, sagte er freundlich. Wie es sich für einen zukünftigen Schwiegervater gehört, hatte sein Tonfall dabei auch etwas Bedrohliches.
    Mario arbeitete zunächst als Fahrer für eine örtliche Spenglerei und Dachdeckerei. Mir war das recht. Es fehlte uns an nichts. Wir wohnten noch in einer kleinen Wohnung und waren beide fleißig. Wir lebten genau so, wie ich es aus meiner Familie kannte. Mario war tagsüber weg und ich passte auf Anke auf. Als mir das nach einiger Zeit zu langweilig wurde, beschloss ich, meinen Interessen nachzugehen. Um mehr über die Gedanken und Emotionen von Kindern zu erfahren, inskribierte ich an der Wiener Universität Psychologie. Nach dem Mutterschutz ging ich bald wieder als Pflegerin arbeiten. Niemand sollte mir nachsagen können, ich sei faul.
    Meine Wünsche erfüllten sich, und zwar einer nach dem anderen. Unser zweites Kind, einen gesunden Jungen, nannten wirGeorg. Wir nahmen uns einen Hund. Bobby war ein kuscheliger Mix aus Golden Retriever und Windhund. Meine Pläne für Mario gingen auf. Ich ermutigte ihn, mehr aus sich zu machen, und es funktionierte. Zuerst ließ er sich zum Versicherungsmakler ausbilden. Er besaß die beeindruckende Fähigkeit, Dinge, die er nur ein einziges Mal gelesen hatte, zu behalten. »Du hast mehr drauf«, flüsterte ich ihm ins Ohr. Wenn er an sich zweifelte, sagte ich: »Du wirst es allen zeigen.«
    Bald war er »staatlich geprüfter Vermögensberater«. Jetzt konnte er seinen Kunden nicht nur Haushalts- und Autoversicherungen vermitteln, sondern er machte auch Geschäfte mit Fremdwährungskrediten, Fondsprodukten und Lebensversicherungen. Sein erster großer Kunde hieß Riethmüller. Er unterschrieb eine Kreditvereinbarung, für die Mario fast achttausend Euro Provision kassierte.
    Das Glück war auf unserer Seite, denn die Zeiten für Finanzberater waren gut. Die Wirtschaft blühte, die Börsen boomten, die Menschen fühlten sich sicher und wollten ihr Geld am Finanzmarkt vermehren, den sie alle nicht so richtig verstanden. Ich gab den Job als Pflegerin auf und fing an, für Privatkunden zu schneidern. Das ließ sich gut mit meinen hausfraulichen Pflichten vereinbaren. In meinem Atelier im Erdgeschoß unseres Hauses nahm ich Aufträge der örtlichen Kundschaft an, Änderungen, Reparaturen und die eine oder andere Maßanfertigung. Viel Geld brachte das nicht ein, aber Mario hätte sowieso genug für die ganze Familie verdient. Doch mir machte meine Arbeit Spaß, und es fehlte uns auch nie an Ideen, wie wir das zusätzliche Geld wieder ausgeben konnten. Ich wünschte mir zum Beispiel einen Wintergarten und Mario wollte uns mit Sonnenenergie vom öffentlichen Stromnetz unabhängig machen.
    Manchmal musste ich auch Kompromisse schließen. So entwuchs Mario zwar beruflich seiner Vergangenheit, aber während seine neuen Kollegen in der Finanzdienstleistungsbranche, Ernst und Christian, nur Kollegen blieben, wurde ihm seine alte Clique noch wichtiger. Ausgerechnet dem Kumpel, den ich am wenigsten leiden konnte, war er besonders zugetan. Er hieß Heinz und repräsentierte alles, was ohne meinen Einfluss vielleicht auch aus Mario geworden wäre. Ich wusste nie genau, womit Heinz sein Geld verdiente und wollte es auch lieber nicht wissen. Er hatte nichts aus sich gemacht, riskierte aber immer eine dicke Lippe und zeigte sich mit zwielichtigen Damen. Unser Deal bestand darin, dass ich Mario wöchentlich einen Männerabend zugestand. Männer brauchen das. Die anderen Abende zelebrierten wir im Kreise der Familie. Darauf war ich unendlich stolz.
    Ich fand Kompromisse in Ordnung, denn ich wollte weder eine Patchworkfamilie noch als alleinerziehende Mutter zwei Kinder mit einem Sonntagsvater großziehen. Emanzipation, wie manche Frauen sie predigen, war auch nichts für mich. Ich habe zwar nicht

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