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Sally

Sally

Titel: Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Päsler
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einmal unabsichtlich mit einer Hüfte seinen Po berührte, zuckte er zusammen.
    »Vorsicht!«
    Seine Stimme bebte wie Donner und ich wich erschrocken zurück.
    Leicht eingeschüchtert massierte ich ihn weiter, jetzt mit Sicherheitsabstand zu seinen erogenen Zonen. Er blieb regungslos liegen und genoss meine Berührungen schweigend und mit weit geöffneten Augen. Zehn Minuten vor Ende der Stunde gab er mir erneut eine Regieanweisung.
    »Jetzt möchte ich kommen.« Er drehte sich auf den Rücken und ich sah seine Erregung. »Setzen Sie sich bitte drauf.«
    Er sagte das ganz ruhig, ohne jedes Keuchen und Stöhnen.
    Er kam wortlos, als ich ihm das Kondom über das Glied streifen wollte. Danach bedankte er sich und legte hundert Euro auf das Bett. Zum Abschied hielt ich ihm meine Hand hin. Er schüttelte sie und ging.

2
    SEPTEMBER 2008. »Wie siehst du denn aus?«
    »Hm.«
    Mürrisch warf Mario seine Tasche in die Ecke und schmiss sich samt Jacke und Straßenschuhen aufs Wohnzimmersofa, obwohl er genau wusste, wie wenig ich das leiden konnte. Eine glückliche Familie hatte auch etwas mit Regeln zu tun, doch ich wusste instinktiv, dass Mario in diesem Moment keine Kritik vertragen würde. Das war mehr als eine miese Montagslaune.
    »Mario, alles in Ordnung bei dir?«, fragte ich.
    »Lass mich einfach in Ruhe, okay?«
    »Was ist denn passiert?«
    Er zögerte. Schließlich stand er auf, zog mürrisch seine Jacke aus und hängte sie an die Garderobe.
    »Riethmüller ist umgefallen«, murmelte er.
    »Was? Oh Gott! Die achttausend Euro?«
    Sofort bereute ich meine spontane Reaktion und vor allem meinen nervösen Tonfall. Männer brauchen in schwierigen beruflichen Situationen keine hysterischen Frauen, sondern tröstende Worte.
    »Es gibt ja noch genug andere Kunden«, setzte ich deshalb hinzu und versuchte, ruhig zu wirken. »Und wenn du dich ein bisschen anstrengst, hast du den Ausfall bald wieder drin.«
    »Es ist nicht nur Riethmüller«, sagte Mario. »Sie fallen derzeit alle wie die Dominosteine.«
    Mein Blick schweifte in die Küche, wo ein Kartoffelauflauf im Ofen stand und frischer grüner Salat im Sieb abtropfte. Aber essen war vorerst nicht angesagt.
    »Mario, was genau meinst du damit?«, fragte ich vorsichtig.
    Die Meldungen über die amerikanische Immobilienkrise und das Platzen einer Spekulationsblase, die ich bisher ignoriert hatte, tauchten in meinem Kopf auf. Banken brachen zusammen, die Börsen befanden sich im freien Fall. Vor wenigen Tagen, am 15. September, war vom »Schwarzen Montag« die Rede gewesen. Angeblich ging es an den Börsen schlimmer zu als nach den schrecklichen Terroranschlägen von 9/11.
    »Schluss, aus, Ende. Verstehst du das?« Mario war aufgebracht und wurde laut. »Die zahlen einfach seit Monaten nicht. Zero. Ich weiß auch nicht, was ich machen soll, verdammt.«
    Umfallen bedeutete, dass ein Kunde die monatlichen Raten für eine Lebensversicherung oder für einen Kredit nicht mehr bezahlen konnte. Leider konnte uns das nicht egal sein. Denn Marios Verträge sahen vor, dass er seine Provision in voller Höhe zurückzahlen musste, wenn so ein Vertrag innerhalb von drei Jahren nach Abschluss platzte. Im Fall von Riethmüller war das bitter. Wir würden die achttausend Euro zurückzahlen müssen, die wir längst in unser Bilderbuchleben gesteckt hatten – in Winterjacken für die Kinder, in neue Alufelgen für Marios Auto, in Gartenmöbel und in Happy Meals bei McDonald’s. Es hatte zwar zuvor schon solche Ausfälle gegeben, aber mit Provisionen für neu abgeschlossene Verträge hatten wir die Situation immer wieder zurechtgebogen.
    »Und …«, fing ich an, doch Mario schüttelte den Kopf. Er wusste, was ich fragen wollte.
    »Die Leute wollen und können nicht mehr. Zu viele haben schon Geld verloren. Es gibt keine neuen Verträge und auch keine neuen Provisionen mehr.«
    Auf einmal fühlte sich unser Leben an wie auf Sand gebaut. Im Kopf ließ ich die vergangenen Wochen Revue passieren. Welche Signale hatte ich übersehen? Alles war nach Plan gelaufen, und ich war der Illusion verfallen, dass dieser Zustand niemals enden würde. Dabei hatte mich das Leben schon zuvor eines Besseren belehrt. Von selbst liefen die Dinge nie gut, sondern nur dann, wenn ich mit aller Kraft dahinter war. Doch ich war nachlässig geworden. Ich hatte vergessen, die Konten zu kontrollieren. Ich hatte wohl angenommen, dass es irgendwo eine wohltätige Behörde gab, die unser Recht auf Familienglück anerkannt

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