Salomes siebter Schleier (German Edition)
ein malerischer Akt, ein rein visuelles Experiment. «Nimm es nicht persönlich», sagte sie zu Boomers Porträt. «Ich leiste mir nur einen kleinen Spaß.»
«Warum bist du gestern Abend nicht zu meiner Eröffnung gekommen?», gab Boomers Porträt zurück.
Natürlich sprach das Bild nicht wirklich. Trotz seiner sieben Zungen blieb es stumm, wie alle Bilder. Ellen Cherry war jedoch so sicher, dass Boomer ihr diese Frage stellen würde, vielleicht noch bevor der Tag zu Ende ging, dass ihr Unterbewusstsein dem Bild die Worte förmlich in den Mund legte.
Die Frage hatte einen vorwurfsvollen Unterton. Als sie sie hörte oder
glaubte
, sie gehört zu haben, konnte sie nicht weitermalen. Sie legte ihren Pinsel weg. Viel
leban zabadi
sollte den Nil hinabfließen, ehe sie ihn wieder zur Hand nehmen würde.
In der Lobby des Ansonia gab es ein öffentliches Telefon. Um sich ihre Unabhängigkeit von Patsy zu beweisen, hatte die frisch verheiratete Ellen Cherry beschlossen, kein eigenes Telefon zu installieren, als sie und ihr Bräutigam das Apartment bezogen, und jetzt konnte sie sich keines mehr leisten. Also ging sie jetzt zu diesem öffentlichen Telefon hinunter, mit einer wappentiergeschmückten Münze bewaffnet. Sie trug noch ihre Malerklamotten, farbverschmiert und ausgebeult.
Gott sei Dank hat Raoul noch nicht angefangen zu arbeiten
, dachte sie.
Boomer klang schlaftrunken. Wahrscheinlich lag er noch im Bett. Ihre Uhr zeigte halb eins, aber es war sicher eine anstrengende Nacht gewesen. Sie fragte sich, ob Ultima neben ihm lag.
«Ich bin’s», sagte sie. «Ich wollte nur sagen, tut mir leid, dass ich nicht zur Eröffnung kommen konnte.»
«Macht nix», sagte er. «Hab sowieso nicht mit dir gerechnet.»
«Wirklich nicht?»
«Nein.»
«Wieso nicht?»
«Weil … ach, lass uns über was anderes reden.»
Er klingt komisch
, dachte sie.
Komisch und kalt. Schlimmer als nur verkatert.
Ob seine Show ein Reinfall war? Es hätte sie nicht überrascht. Er war schon lange nicht mehr ganz dicht im Kopf, darüber konnte nicht mal die Baskenmütze hinwegtäuschen. «Warum sollten wir nicht drüber reden?»
«Warum sollten wir über irgendwas reden, was wichtig ist? Was unsere guten Beziehungen stören könnte?»
Sie war betroffen. «Du spinnst! Wir haben immer geredet.»
«Quatsch, Ellen Cherry. Wir haben nie geredet. Wir haben Witze gemacht. Witze machen ist nicht reden.»
Sie wollte Einspruch erheben, doch fiel ihr kein Beweis ein, der ihn hätte untermauern können. Während sie sich zu erinnern versuchte, wann sie sich das letzte Mal wirklich richtig unterhalten hatten, platzte er plötzlich los. «Weißt du, warum wir nie geredet haben? Weil du immer gemeint hast, mit mir
könnte
man nicht reden. Jedenfalls nicht auf deinem Niveau. Nicht über Kunst. Ich hatte keine Ahnung von Kunst. Ich hab mir nichts aus Kunst gemacht, ich hab keinen Pfifferling dafür gegeben. Und das hat mich in deinen Augen herabgesetzt, verstehst du; ich war so eine Art Bürger zweiter Klasse für dich wie all die anderen Blödmänner in Colonial Pines …»
«Nein! Du warst anders. Und ich habe dich geliebt.»
«Du hast mich nie geliebt. Du nicht. Du hast ein bisschen rechts von mir und ein bisschen links von mir geliebt. Über mir, unter mir, und vielleicht auch irgendwo hinter meinem Rücken. Aber du hast nicht
mich
geliebt. Meinen Bizeps, ja, und meinen großen alten Schweißerpimmel, und die Art, wie ich tanze, weil ich freier und lockerer war als du. Das hast du geliebt, Teufel noch mal! Dir hat gefallen, dass ich mich gehenlassen konnte, denn der einzige Ort, wo
du
deine Hemmungen vergisst, ist vor der Staffelei. In der Kunst bist du frei. Ansonsten bist du verklemmt wie ’n Kerzenhalter am Christbaum.»
«Hey, Moment mal, Bürschchen. Ich wusste ja gar nicht, dass du so locker bist. Es gibt ’ne Menge Sachen, die du nicht gebracht hast. Du wolltest mich zum Beispiel nicht Jezabel nennen.»
Boomer zögerte. Dann senkte er die Stimme. «Das ist was ganz anderes, hörst du?»
«Ja, nicht wahr?»
«Jawohl!»
«Was ganz anderes.»
«Das kannst du laut sagen.»
Aber sie sagte es nicht laut. Eine Zeitlang sagte sie überhaupt nichts mehr, und er auch nicht. Dann fingen plötzlich beide im gleichen Augenblick an:
«Das Schlimme an dir –» sagte sie.
«Das Schlimme an dir –» meinte er. Da seine Stimme kräftiger war, bekam sie die Vorfahrt eingeräumt. «– ist, dass du dich nur über deine verdammte Kunst
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