Salomes siebter Schleier (German Edition)
Zeiten des
leban zabadi
, jenes sahnigen ägyptischen Joghurts der vergangenen Morgen – doch die Tatsache, dass sie den
leban zabadi
beim Frühstück ausließ, bedeutete, dass sie ihn wahrscheinlich zum Lunch essen würde. Reste aus dem I & I hatten sich als überlebensnotwendig erwiesen. Einmal hatte sie sogar
baba ghanoug
mit nach Hause genommen.
Es war Zeit für ein Bad, und einen Augenblick dachte sie ernsthaft daran, Captain Vibrator dazu einzuladen. «Vielleicht sollte ich warten, bis ich ihn ein bisschen besser kenne», sagte sie, an die Vase mit Rosen gewandt, die auf dem Frühstückstisch stand. So badete sie stattdessen mit den Rosen. Sie schwammen im Wasser, das ganze Dutzend, rieben ihre samtenen Gesichter an ihr und piksten sie gelegentlich mit einer ihrer langen Dornen. «Akupunktur», sagte sie. «Genau das, was ich gebraucht habe.» Blütenblätter lösten sich, fielen ab wie Illustriertenseiten über den Lebensstil von Blattläusen, um sich sogleich in den Netzen von Seifenspinnen zu verfangen. Ellen Cherry klebte feuchte Rosenblätter auf ihre Nippel und eins unter ihre Nase wie den Schnurrbart eines Komikers.
«Frühling für Hitler»
, sagte sie. Draußen war es November, und die Margarita-Gläser der Wolkenkratzer trugen Salzränder aus Frost.
Sauber und höchst leger gekleidet, packte sie die ertrunkenen Rosen in Zeitungspapier und warf sie in den Abfall. «Sie hätten es sowieso nicht lang gemacht», sagte sie sich und trocknete die Hände an ihrem Sweatshirt ab. «Nicht sehr lang jedenfalls. Sie stammten aus dem Gewächshaus. Blumen aus dem Gewächshaus verblühen schnell, genauso wie Kunst aus dem Gewächshaus.» Damit meinte sie Kunst, die im künstlichen Licht von Spleens und Moden heranwuchs, überdüngt mit persönlichen Ambitionen und ferngehalten von allen Wettern, die im harten, steinigen Boden des Glaubens widerstandsfähige Systeme hervorbringen. Vielleicht meinte sie auch die Art Kunst, die in diesem Moment in Ultima Sommervells Galerie zu besichtigen war. Sie führte ihre Theorie nicht weiter aus. Stattdessen stülpte sie den Deckel über die Rosen, verurteilte sie zum Vergessen unter der Spüle und stellte ihre Staffelei auf. Mr. Hadee hatte recht: Es war Zeit, mit dem Jammern aufzuhören und zu handeln.
Seit sie in New York lebte, hatte sie sich von ihren alten Ideen über die Würde des Leidens immer mehr distanziert. Je mehr Leid sie sah – und die New Yorker Kunstwelt war vom Leid geradezu zerfressen –, desto weniger hielt sie davon. Manches Elend war natürlich umweltbedingt, aber die meisten leidenden Künstler waren Narzissten, wie sie mittlerweile zu glauben begann. Narzisstische Künstler schienen vom Leiden geradezu magisch angezogen, sie suhlten sich im Elend, heulten und schrien und brachten dann nicht mal einen anständigen Selbstmord zustande; ihre Verzweiflungsanfälle waren sorgfältig inszeniert (am liebsten in der Öffentlichkeit), um Kritiker und Sammler von der Ernsthaftigkeit ihrer Ästhetik zu überzeugen. In der Vergangenheit war wohl auch sie von der Vorstellung des leidenden Künstlers fasziniert gewesen, in ihrem Inneren aber hatte sie im Künstlerdasein stets mehr ein Privileg als einen Fluch gesehen, und diejenigen, für die das kreative Leben nur Elend bereithielt, forderte sie mittlerweile offen auf, doch in die Gastronomie zu wechseln. Eine Kellnerin, ein Koch wurden immer gebraucht.
Sie stellte das letzte Bild, an dem sie gearbeitet hatte, auf die Staffelei. Es war ein einigermaßen realistisches Porträt von Boomer Petway, vor zwei Wochen nach der Erinnerung begonnen. Impulsiv tauchte sie den Pinsel in die Farbe und malte ihm die lange, ausgerollte Zunge eines Frosches. Dann trat sie zurück und kniff die Augen zusammen. Und sah, dass es gut war.
Außer der Froschzunge, in deren Banderole sie noch eine Fliege setzte, malte Ellen Cherry Boomer noch die schwarze, ungleichmäßige Zunge eines Chow-Chows dazu. Pflanzte die Strohhalmzunge eines Schmetterlings und die gespaltene Zunge einer Boa dazwischen. Die Zunge eines Spechts, pfeilköpfig und spitz; eine Ochsenzunge, muskulös, breit und triefend vor Sabber, und schließlich die scheue, glückliche Zunge, mit der die Delfine Wellen auf die Küste zuschieben. Nach der siebten Zunge hielt sie inne. Und wandte sich den Ohren zu.
Es war nichts Respektloses daran, wie sie das Porträt veränderte. Den Zungen mangelte es an jeglicher psychologischen oder symbolischen Bedeutung. Es war
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