Salomes siebter Schleier (German Edition)
Meer zu überqueren, sollte er/sie auf Jerusalem und die ungeheuren Ereignisse, die ihnen dort verheißen waren, verzichten müssen, würde er/sie als zweite Wahl, als Entschädigung sozusagen, auf Teufel komm raus versuchen, sich irgendwie in Ellen Cherry Charles’ Leben zurückzuschmuggeln. Deshalb war er/sie sehnsüchtig.
I & I
Die U-Bahn spuckte Ellen Cherry auf der gepflasterten Fußmatte einer Bar ganz in der Nähe des Ansonia aus. Da sie das Schicksal nicht beleidigen wollte, das offensichtlich für diesen Zufall verantwortlich zeichnete und den Menschenstrom so gelenkt hatte, dass er sie an dieser und keiner anderen Stelle absetzte, trat sie pflichtbewusst ein und bestellte einen Wild Turkey. Braves Mädchen.
In der Zeit, die sie brauchte, um ihn zu trinken, versuchten drei verschiedene Männer sie anzumachen. Obgleich sie alle drei abblitzen ließ, war sie dankbar für ihre Bemühungen. Sie lenkten ihre Gedanken von der Eröffnung in der Sommervell-Galerie ab und schoben sie auf ein Nebengleis, das nicht ganz so gefährlich war. Nicht ganz.
Sie zwinkerte ihren abgewiesenen Verehrern zu, zahlte und verließ die Bar ohne Begleitung. Am Broadway trat sie in ein bestimmtes Geschäft und tätigte einen bestimmten Einkauf. Fünf Minuten später durchquerte sie mit einer unauffälligen braunen Papiertüte in der Hand die Lobby des Ansonia.
Raoul begrüßte sie. «Hey, Miz Charl! Wieder zurück aus Jerusalem?» Grinsend hob er einen Finger an den Rand seines makellosen Huts.
Ellen Cherry blieb stehen und betrachtete ihn. Raoul ließ sich einen Schnurrbart wachsen. Vereinzelte feine Härchen, dünn und verloren wie afrikanische Rinder, wanderten über die Ebene unter seiner Nase. Sie stellte sich vor, wie sie ihre Lippen berührten, ihre Nippel, ihren kitzeligen Bauch, wie sie sich an der Salzlecke versammelten, die sie zu bieten hatte. Bevor sie sich versah, zog sie ihn mit Blicken aus. Das hatte sie nicht vorgehabt, aber jetzt konnte sie sich einfach nicht mehr bremsen. Und als sie im Geiste den knappen Fruta-del-Telar-Slip von der Erektion befreite, auf der er hing wie ein Geschirrhandtuch an einem Nagel, befürchtete sie, jeden Augenblick in Ohnmacht zu fallen. Ihr Höschen war so nass, als hätte sie auf einer Tomate gesessen.
Gerade als sie sich ihn schnappen wollte, mitsamt «Messing»knöpfen aus Plastik, Filzhut und allem, sagte er: «Hey, ich bin eifersüchtig, Mann.»
Aus ihren Träumen purzelnd, fragte sie mit schwacher Stimme: «Was sagen Sie da?»
«Irgend’n reicher Filmstar hat Ihnen Blumen geschickt, Mann. Ham Sie Geburtstag, oder was?» Er zog einen langen grünen Blumenkarton mit grüner Schleife hinter seinem Pult hervor. «Kennen Sie diesen Romeo? Mann, bin ich eifersüchtig!»
Ellen Cherry nahm ihm den Karton ab. Mit kaum erkennbaren Bewegungen, nur wenig schneller als Turn Around Norman und gewiss langsamer als Painted Stick, ging sie über den schwarz-weiß gekachelten Flur auf den Lift zu und öffnete unterwegs den winzigen Umschlag. Auf der Karte stand: «Für unsere Lieblingskünstlerin», und die Unterschrift lautete: «Spike Cohen und Roland Abu Hadee».
Na ja. Sie warf Raoul einen Blick über die Schulter zu. «Danke», rief sie. Dann tätschelte sie ihren brandneuen Vibrator, der elegant und diensteifrig in seiner Hülle lag, und betrat den Aufzug. Raoul blieb mit einem seiner halbfertigen, kitschigen Verse zurück, denen es zwar an der elfenbeinernen Flamme großer Poesie mangelte, die man aber trotzdem nie wieder loswurde – wie eine Narbe, eine Tätowierung oder das kleine Einmaleins.
Der nächste Morgen ließ sich an wie ein deutscher Luxuswagen. Es war Ellen Cherrys freier Tag, und sie schlief aus. Als sie endlich ganz wach war und der Motor summte, wischte sie den Vibrator mit einem feuchten Waschlappen ab, gab ihm noch einen Kuss auf die Spitze und versteckte ihn in der Schublade, wo ihre Baumwollunterhöschen ein einfaches, aber stolzes Dasein fristeten, ohne jeden Anflug von Neid auf Satin oder Spitze.
«Merci, mon capitaine»
, sagte sie zu dem Vibrator. «Danke für den wunderbaren Abend.»
Dann machte sie sich ein richtiges Frühstück, eins von der Art, wie Gott es den Sterblichen bestimmt hat: Eier und Schinken, Haferflocken und Toast. Die Zeiten der Schokoladen-Doughnuts und kalten Pizzareste zum Frühstück waren vorbei, der ganze Fraß hatte sich auf die Bowery verkrümelt, wo die Dekadenz noch immer einen Parkplatz gefunden hat. Vorbei auch die
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