Salomes siebter Schleier (German Edition)
Jahren. Ich sagte zu- und eingewandert, aber in Wirklichkeit haben die Briten sie aus der ganzen arabischen Welt dorthin gekarrt. Und sie in einem Land, das ihnen fremd war, neu angesiedelt.»
«Wunderschöne Teppiche.»
«Mit dem Einverständnis der Amerikaner, da bin ich sicher, und in voller Absicht haben die Briten Araber in großer Zahl dorthin geschafft, als abzusehen war, dass die UN nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs den Staat Israel anerkennen würde. Deshalb erinnere ich Spike immer wieder daran: Ganz gleich, wie unfair und brutal die Palästinenser behandelt werden, sie haben noch weniger Anspruch auf das Territorium als die Juden.»
Abu machte eine Pause und fuhr dann fort: «Doch könnte man sich natürlich fragen, warum sich die Briten mit dem Einverständnis der Amerikaner, davon bin ich überzeugt, die Mühe machten, fremde Araber in Palästina anzusiedeln.»
«Handgeknüpfte, mit organischen Stoffen gefärbte Teppiche.»
«Es war ein bewusster Trick, um die Juden auf offener Flamme sieden zu lassen. Sie unter ständigen Druck zu setzen und so jeglichen finanziellen oder kulturellen Einfluss zu beschränken, den sie auf den Rest der Welt hätten ausüben können. Es war ein großangelegter, zynischer Verrat. Spike kann das verständlicherweise nicht zugeben, aber in meinen Augen war, wenn Hitlers Holocaust der größte antisemitische Akt in der Geschichte war, die Schaffung des Staates Israel der zweitgrößte. Eine ungeheuerliche angloamerikanische Falle.»
In Ellen Cherrys Kopf umschwirrten exquisit geknüpfte fliegende Teppiche die Kontrolltürme diverser internationaler Flughäfen. Als sie schließlich mitbekam, dass ihre Arbeitgeber beide verstummt waren, stand sie auf und füllte ihre Gläser, das von Spike mit Cola-Rum, das von Abu mit Tee.
«Und Sie trinken nichts,
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?», fragte Spike.
Erst jetzt trug sie ihre Bitte um Rückstufung vor und versicherte den beiden, dass sie dadurch nicht nur Geld sparen, sondern sich auch die Arbeitskraft einer Kellnerin sichern würden, die mit Leib und Seele in ihrem Beruf aufging.
«Aber, meine Liebe, Sie sind Künstlerin», sagte Abu.
«Nur Geduld. Eine nette kleine Galerie, was ich werde Ihnen besorgen», sagte Spike.
Als sie hartnäckig blieb, baten sie, die Angelegenheit unter vier Augen besprechen zu können. Sie willigte ein, einen Spaziergang zu machen und in einer Stunde wiederzukommen.
Als sie das Restaurant mit einer Papiertüte voller
shish tawook
unter dem Arm verließ, hörte sie Abu fragen: «Was hat sie bloß dauernd von Teppichen gemurmelt?»
Der Vermieter ihrer letzten Wohnung in Seattle war so freundlich gewesen, Ellen Cherry einen Coldspot-Herd und einen Hotpoint-Kühlschrank zu überlassen. Can o’ Beans hatte sich von seinem/ihrem Hochsitz auf dem Küchenregal über diesen Widerspruch, diesen unpräzisen Sprachgebrauch zugleich amüsiert und geärgert. Und Ellen Cherry erklärte Boomer eines Tages am Telefon: «Ich habe einen kalten Punkt und einen heißen Punkt.»
«Du und jede andere Frau, mit der ich zu tun hatte», antwortete Boomer.
Dieses Gespräch fiel Ellen Cherry wieder ein, als sie jetzt die Forty-ninth Street hinaufging. Eigentlich hatte sie vorgehabt, am East River spazieren zu gehen, doch der Wind war zu frisch, und außerdem zog gerade eine Demonstration vor dem UNO -Gebäude auf. Arabischstämmige Amerikaner und eine erstaunlich große Zahl von Juden protestierten gegen die Brutalität, mit der Israel seine Autorität in den besetzten Gebieten durchzusetzen versuchte. Deshalb hatte sie beschlossen, einen schnellen Abstecher zur Fifth Avenue zu machen, um noch die letzten Schwingungen von Turn Around Normans langgezogener Pirouette mitzubekommen. Während sie fast im Laufschritt die vertraute Strecke entlangeilte und die Papiertüte durch die eisige Luft schwenkte, wurde sie das Gefühl nicht los, dass in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren ihres Lebens ihr kalter Punkt niemals kälter und ihr heißer niemals heißer gewesen war.
Als sie an Mel Davis’ Hundeboutique vorbeikam und einen Truthahn aus Pappe in der Tür hängen sah (offensichtlich gab es auch für Pudel Thanksgiving), erstaunte es sie nicht, dass das Gefühl von simultaner Hitze und Kälte sich noch verstärkte.
Keines dieser Extreme ihres Psychoklimas war für die Objekte im Keller erkennbar. Tatsächlich registrierten sie ihre Gegenwart auf den Stufen der Kathedrale kaum. An diesem Tag und in diesem Augenblick richtete sich
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