Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
Vom Netzwerk:
Mann stürzte und wälzte sich im Rinnstein, und die juwelenbesetzten Hundehalsbänder lagen um ihn verstreut wie wertloser Tand um die Mumie eines Pharaos.
    Noch nie zuvor hatte Painted Stick einen Menschen angegriffen. Kein anderes unbelebtes Objekt hatte, soviel er sagen konnte, jemals absichtlich und aus eigenem Antrieb heraus ein menschliches Wesen attackiert. Er bekam das Gefühl, ein schweres Verbrechen begangen, die fundamentalen Gesetze der Andersartigkeit und territorialen Bestimmung übertreten zu haben. Das könnte schreckliche Folgen haben. Was, wenn damit ein Präzedenzfall geschaffen worden war? Wenn er am Gefüge der universellen Ordnung gerüttelt hatte? Doch während er noch voller Angst und Schuldgefühle die ethischen Grundsätze seiner spontanen Tat in Zweifel zog, fühlte er sich zugleich von ihr erhoben. Mit einem Mal wusste er, dass ihn auf Dauer kein Mensch daran hindern konnte, seine Kameraden tatsächlich zum Meer zu führen.
    Ein besorgter, aber zuversichtlicher Stock und ein hysterisch zitternder Löffel setzten ihren Weg die East Forty-ninth Street hinauf fort. Zwar erwies sich die Kreuzung Lexington Avenue als heikel – ja als beinahe katastrophal –, doch erreichten sie St. Patrick’s noch vor Anbruch der Dämmerung.
    I & I

Denn er errettet dich vom Strick des Jägers
    und von der schädlichen Pestilenz.
    Er wird dich mit seinen Fittichen decken.
    Deine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln.
    Der einundneunzigste Psalm war lang und dramatisch, und Spike Cohen las ihn mit gelassenem Selbstvertrauen. Ellen Cherry musste daran denken, was Buddy Winkler wohl daraus gemacht hätte. Nach dem dritten Vers aber hörte sie nicht mehr richtig zu. Vielleicht war es der Rum, vielleicht die späte Stunde, jedenfalls verfiel sie, ohne es eigentlich zu wollen, auf ihr Augenspiel und ließ die Muster und Farben von Spikes Kleidern ineinanderfließen – den salatgrünen Pullover mit V-Ausschnitt, das lila-weiß gepunktete Hemd, den pflaumenblauen und olivgrünen Balkenmuster-Anzug –, bis sie sich fühlte, als schlüge ihr jemand ein Kaleidoskop um die Ohren. Doch dann fiel ihr ein weiteres Spiel ein, das, das ihre Augen mit dem Löffel gespielt hatten und das ihr eine andere Realitätsebene bewusst gemacht hatte, einen Bereich, eine Domäne, die von der reflexhaften Welt verschleiert wurde. Diese Erfahrung hatte dazu geführt, dass ihr die Welt jetzt sehr viel größer vorkam. Zugleich aber auch intimer.
    Insgesamt hatte die ganze Sache mit dem Löffel ihr einen heimlichen Bezugspunkt jenseits der alltäglichen Ordnung der Dinge vermittelt. Er war wie das, was Turn Around Norman einmal gewesen war, nur persönlicher. Spike hatte eine Viertelstunde damit verbracht, sie sanft davon zu überzeugen, dass es eine rationale, einfache Erklärung für Spoons Auftauchen und Verschwinden gab und dass das, was so geheimnisvoll erschienen war, sich irgendwann als ziemlich prosaisch erweisen würde. Im Augenblick, so glaubte sie, würde sie sich betrogen fühlen, sollte das der Fall sein. Gab es im Leben nicht schon genug Langeweile, Wiederholung, Mittelmäßigkeit und Ordnung? Sollte sie nicht froh sein,
dankbar
für diese Attacke des Unerwarteten und Unerklärlichen? Und wenn sie es nie verstand, na schön, umso besser. Die Überraschung und der Schock des Außergewöhnlichen, selbst wenn es sich in einer so unbedeutenden Sache wie dem Rätsel um den Löffel manifestierte, konnten ein Tonic sein, ein Pfaffenhütchen-Sirup, und sie ertappte sich dabei, dass sie jedem, den sie kannte, eine Dosis davon wünschte – scheiß auf die gefährlichen Nebenwirkungen.
    Ich will ihn sättigen mit langem Leben
    und will ihm zeigen mein Heil.
    Als Spike fertig war, blickte er von der Seite auf und sah ein Grinsen über Ellen Cherrys Gesicht huschen, wie jenes Huhn, das die Straße überquert, obgleich das Grinsen eigentlich mehr Ähnlichkeit mit den roten Hosenträgern eines Feuerwehrmanns hatte. «Ojojoj», sagte er. «Vielleicht einen
dybbuk
haben wir doch vertrieben aus Ihnen. Habe ich nicht gleich gesagt, dass es ist eine prima Psalm?» Er stürzte sein Glas Rum hinunter. «Und die Ersatz-
shofar
, was ich habe gebracht, tut seine Wirkung auch, wie?»
    Ellen Cherry konsultierte ihr Glas und kicherte.
    «Nu, Sie entspannen jetzt, wie? Sie können gebrauchen ein wenig Schlaf. Träumen Sie von schöne Dinge, bloß nicht von wandernde Silber, okay? Was ist los mit diesem Löffel, ist er jüdisch oder

Weitere Kostenlose Bücher