Salomes siebter Schleier (German Edition)
Leben!»
«Man kann nicht sie tadeln,
little darlink
. Ist nur die neue amerikanische Traum, was sie nachjagen.»
«Welcher Traum?»
«In Europa meine Familie hat gelassen ihre Zehen, aber nach Ellis Island sie hat gebracht eine Traum. Die alte amerikanische Traum. Arbeite hart, spar dein Geld, sei anständig, und der Erfolg wird sein unausweichlich. Eine eigene Geschäft. Ein Haus. Gutes Essen auf dem Tisch, Teppiche, Vorhänge. Zwei Wochen im Dezember in Miami Beach, vielleicht. Nur, wenn du bist meine Familie, du schwimmst mit Gummisandalen an die Füße. Okay. Ich bin aufgewachsen mit diese Traum. Aber die Künstler, die du beschreibst – selbsternannte Jammerlappen, was sind bewusste Schlockmeister und Ganeffs –, sie träumen die
neue
amerikanische Traum, was handelt von Reichtum und Anerkennung ohne die Bürde von Intelligenz, Talent, Aufopferung oder universale menschliche Werte.»
«Ja, ich schätze, eine Menge Leute sind heutzutage so verwöhnt. In jeder Hinsicht. Und in jedem Alter. Aber offen gesagt, Spike, mir ist es scheißegal, ob ein Künstler sich vierzig Stunden in der Woche abrackert oder die Zehn Gebote beachtet. Mir ist es schnurzpiepe, ob er seine Steuern bezahlt, Hauptsache, seine Bilder taugen was. Wenn sie mir allerdings keine neue oder erstaunliche Vision bieten können, sollen sie auch nicht erwarten, dass ich ihnen ihre Sünden vergebe.»
«Nein, nein,
little darlink
. Man muss verzeihen jedermann.»
«Auch Buddy Winkler?» Erst jetzt begann sie, Spike von Buddys Attacke zu erzählen, und wie nicht anders zu erwarten, konnte er sie trösten, bis jegliches Unwohlsein verflogen war, selbst das wegen Turn Around Normans Rückzug. Er hielt sie in den Armen, knetete sanft die runden Brotfladen ihrer Arschbäckchen, liebkoste die Napfkuchen ihrer Brüste. Bald vergaßen sie die körperlichen und geistigen Probleme, die ihnen zu schaffen gemacht hatten. Der Delfin trug sie dorthin, wo die Brandung wild und ungestüm war und die Wellentäler tief und salzig.
In ihrer Ekstase merkte Ellen Cherry gar nicht, wie heftig sie sich ihm entgegenwarf. Unbekümmert bäumte sie sich auf, bog den Rücken durch, wälzte sich hin und her, bis sein Stöhnen in einem Schrei gipfelte – nicht vor Lust, sondern vor Schmerz –, der die Wogen um sie herum erstarren ließ. Keuchend rollte er von ihr herab, fiel aus dem Bett und blieb schließlich aschfahl und bewusstlos in einer Lache von Erbrochenem liegen.
«O mein Gott!», rief sie. «Ich hab ihn umgebracht!»
I & I
Wenn man Reverend Buddy Winkler und seinen Kollegen glauben wollte, war die Aids-Epidemie eine Plage, mit der Jehova die sexuellen Abenteurer auf der Welt bestrafen wollte. Aids war der letzte und endgültige Beweis, so predigten sie, dass die Tage der Menschheit gezählt waren. Dass der Tribut, den Aids forderte, nur ein Tropfen auf den heißen Stein war, verglichen mit den Sterblichkeitsraten im 14 . Jahrhundert, als die Beulenpest ein Drittel der Weltbevölkerung hinweggerafft hatte, gehörte nicht zu den Tatsachen, denen solche unverbesserlichen Schwarzseher und Stänkerer große Beachtung schenkten. Aids passte den phantastischen Wahnvorstellungen der religiösen Rechtsradikalen schon deshalb so wunderbar in den Kram, weil es durch Geschlechtsverkehr übertragen wurde.
Vor mehr als einer Gemeinde und bei mehr als einer Gelegenheit hatte Buddy verkündet: «Der Mensch hat mit Schafen verkehrt und die Syphilis hervorgebracht. Der Mensch hat mit Affen verkehrt und Aids hervorgebracht.»
«Was verrät uns das über die Schweinepest?», hatte Ellen Cherry eines Tages nachgehakt.
«Ja», hatte Boomer Petway eingestimmt. «Und über den ersten Menschen, der je gesagt hat, er fühle sich ‹hundeelend›? Hat er damit vielleicht unwillkürlich was gebeichtet? War das vielleicht der Ursprung der Colliera?»
Ellen Cherry: «Sollte etwa Rhett Butler der Perversling gewesen sein, der Scharlach verbreitet hat?»
Boomer: «Und wenn man mit Jazzmusikern verkehrt, kann man sich dabei Thelonius Mumps holen?»
Nun ja, lassen wir den beiden ihren Spaß. Es gab tatsächlich eine Epidemie in diesem Land, und wenn sie auch alles andere als apokalyptisch war, wenn die Zahl ihrer Opfer auch klein blieb im Vergleich zu den Seuchen der Vergangenheit (so wie etwa die Verluste der zwei Weltkriege gering blieben im Vergleich mit denen des Krieges zwischen den Mandschu und den Chinesen im Jahre 1644 ), so war sie doch ernst und unheimlich, umso mehr,
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