Salomes siebter Schleier (German Edition)
Schau, der ebenso rosig und glatt war wie Conch Shells Spalte, und schwor, sein Bestes zu tun. Doch am nächsten Abend nahm der alte Schwätzer Abu beiseite, um ihm mitzuteilen, dass es keinen Zweck hatte.
«Nicht mal für das dreifache Gehalt?»
«Das ist keine Sache des Geldes, mein großmütiger Wohltäter. Es hat etwas zu tun mit Tradition. Es hat zu tun mit den Geheimnissen der Frauen, von denen wir Männer kaum eine Vorstellung haben. Und außerdem hat es zu tun mit der persönlichen Einstellung. Das Mädchen ist hochintelligent – für ein Mädchen. Sie ist die jüngste Schwesternschülerin am Bellevue-Hospital. Und sie möchte in ihre Heimat zurückkehren, um ihren Landsleuten zu helfen. Es tut mir leid, Sir, aber das Mädchen wird diesen Tanz niemals tanzen.»
«Niemals?»
«Nun ja. Vielleicht eines Tages. Wenn die …»
«… Aprikosen blühen», beendete Abu den Satz und jagte ihn aus seinem Büro.
I & I
Ellen Cherry saß am Telefon und kümmerte sich um die Reservierungen an jenem Oktobernachmittag, als das I & I wieder einmal eine Bombendrohung erhielt, die erste nach vielen Monaten. Bevor auch sie das Gebäude verließ wie die übrigen Angestellten, rief sie im Tennisclub an und verständigte ihre Arbeitgeber. Sie trafen in weißen Leinenhosen und weißen Baumwollpullovern am Ort des Geschehens ein. Spike trug weiße Tennisschuhe, doch Abu hatte seine Nikes gegen schwarze Lederhalbschuhe eingetauscht. Die rot blinkenden Warnlichter des Feuerwehrwagens spiegelten sich in den blankgewichsten Schuhspitzen.
«Irgendwer hat Lust, die alten Zeiten heraufzubeschwören», sagte Abu lächelnd. «Wer hätte gedacht, dass religiöse Terroristen so sentimental sein können?»
«Nein», erwiderte Spike. «Ich glaube, dass es sind die Bullen, was machen die Drohung. Sie wollen feiern und haben nichts mehr zu trinken.»
«Ihr scheint alle beide die Sache nicht ganz ernst zu nehmen», sagte Ellen Cherry.
Spike betastete die Narben auf seiner Stirn. «Ich nehme ernster als jeder andere», sagte er. «Aber ich glaube, dass es ist nur ein
shikker
, was ist sauer, weil unsere kleine Salome sich weigert zu tanzen den Tanz der sieben Schleier.»
«Was ist bloß dran an diesem Tanz?», fragte Ellen Cherry. «Alle Welt verdreht die Augen, als ginge es um freie Liebe mit Eiscreme, aber keiner hat den leisesten Schimmer, was das Ganze eigentlich soll.»
«Es ist dieser Schnüffler, was hat angefangen die ganze Sache», sagte Spike und meinte Shaftoe.
«Aber es ist wirklich ein Tanz», warf Abu ein. «Und anscheinend hat sie ihn im Repertoire.»
«Na schön, aber was ist so Besonderes daran? Stammt er nicht aus der Bibel oder so?»
Es war noch keine drei Uhr nachmittags, doch an der Forty-ninth Street-Ausfahrt des FDR -Drive staute sich bereits der Verkehr. Die ungeduldigen Hupen und dröhnenden Motoren waren so laut, dass Ellen Cherry im Bemühen, Abus Erklärungen zu verstehen, Ohrenschmerzen riskierte. «Nein, in der Bibel wird der Tanz nirgendwo mit Namen erwähnt, obgleich der Historiker Josephus berichtet, dass die biblische Salome ihn auf der Geburtstagsfeier für ihren Stiefvater Herodes aufführte.»
«War das die Feier, wo der Kopf Johannes des Täufers aus dem Kuchen rollte?»
«Sozusagen. Übrigens stammt Salome vom gleichen semitischen Wortstamm ab wie
shalom
oder
salem
. Mit anderen Worten, Frieden. So ist unsere geliebte Stadt Jerusalem nicht nur die Stadt des Friedens, sondern auch die der Tempeltänzerin.»
«Der was?»
«Der Tempeltänzerin.»
«Wie nett», sagte Ellen Cherry.
«
Mir
gefällt es», sagte Spike.
Abu fuhr fort. «Der Tanz selbst ist älter als Herodes und seine Stieftochter Salome. Tatsache ist, dass er uralt und durch und durch heidnisch ist, verknüpft mit dem Mythos vom zyklischen Tod des Sonnengottes. Seine Mondgöttin steigt in die Unterwelt hinab, weil sie ihn retten will, aber um ihn zurückzubekommen, muss sie an jedem der sieben Tore eines ihrer sieben Kleidungsstücke ablegen.»
«Warum?»
«Keine Ahnung. Aber Neuinszenierungen dieser Story gab es offensichtlich bis weit in römische Zeiten hinein. Mit Unterstützung der Hebräer übrigens. Eine Tänzerin ließ an jedem der sieben Tore des Tempels in Jerusalem einen Schleier fallen. Am siebten Tor war sie nackt, wie Gott sie geschaffen hatte, aber das war nicht unbedingt der Grund, warum Herodes sich diesen Tanz für seine Geburtstagsfeier gewünscht hatte. Ich habe gelesen, dass die Schleier die
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