Salomes siebter Schleier (German Edition)
Staub.»
Erst als sie eine beträchtliche Distanz zwischen sich und die Höhle gelegt hatten, fühlten sie sich wieder einigermaßen wohl in ihrer Haut. Und selbst da waren sie noch zu durcheinander, um zu merken, dass sie, abgesehen von Boomers stinkender Socke, auch noch einen echten Silberlöffel und die Dose Bohnen in der Höhle vergessen hatten.
I & I
Noch fast eine Viertelstunde, nachdem das Pärchen aus der Höhle geflohen war, hielt das Rascheln in der Nische an. Niemand außer Dirty Sock, Spoon und Can o’ Beans konnte es jetzt noch hören.
«Ich habe Angst», sagte Spoon.
«Hier drin kann uns nichts passieren», entgegnete Dirty Sock. Der Gedanke an eine Viper, die sich in eine alte rote Socke verbiss, kam ihm ziemlich komisch vor. Die Vorstellung dagegen, dass sich ein junger Hund in der Nische verstecken könnte, hätte er weniger amüsant gefunden.
«Psst», machte Can o’ Beans. «Hört mal, dieses Seufzen. Was immer da erwacht, es erwacht sehr, sehr langsam, denn es hat sehr, sehr lange geschlafen.»
Can o’ Beans hatte recht. Tatsächlich waren fast zweitausend Frühjahre gekommen und vergangen, seit das, was da erwachte, zum letzten Mal wach gewesen war. Offenbar brauchte es mehr als eine simple Tagundnachtgleiche, um einen solchen Dornröschenschlaf zu stören. Denn was das, was da erwachte, aus seinem Schlummer gerissen hatte, war der Geschlechtsakt von Mr. und Mrs. Boomer Petway in Verbindung mit dem Echo eines vertrauten und hochgeschätzten Namens gewesen.
O ja, Jezabel war denen, die in der Spalte dort schliefen, wohlbekannt. Sie hätten jede Frage, die Ellen Cherry hinsichtlich des «verdorbenen Luders» unter den Nägeln brannte, bis ins kleinste Detail beantworten können.
So hätten sie beispielsweise mit folgender Information aufwarten können: Außer auf ziemlich äußerliche Art und Weise hat Königin Jezabel niemals Baal verehrt.
Baal
, das war die alte semitische Bezeichnung für «Herr» oder «Ehemann». Der Gott, der in der Bibel als Baal bezeichnet wird, verdankte seinen göttlichen Status vor allem der Tatsache, dass er der Ehemann Astartes war. Und Jezabel verehrte Astarte.
Wer war Astarte? Sie war eine Göttin, besser gesagt,
die
Göttin überhaupt, die Große Mutter, das Licht der Welt, die am längsten und leidenschaftlichsten verehrte Gottheit in der Geschichte der Menschheit. Ihre Heiligtümer datierten bis zurück in die Steinzeit, und es gab nicht eine indoeuropäische Kultur, die es versäumte, den Staub von ihren sternenbestickten Pantoffeln zu küssen. Im Vergleich dazu war «Gott», wie wir Heutigen Jahwe nennen (was fälschlich oft als Jehova wiedergegeben wird), bloß ein Epigone, der nie ihre enorme Popularität erreichte. Sie war die Mutter Gottes, wie sie in der Tat unser aller Mutter war. Sosehr sie auch wegen ihrer lebenspendenden und nährenden Eigenschaften geliebt wurde, den einzigen Aktivitäten, die ihr die Patriarchen durchgehen ließen, sie herrschte doch zugleich über die Vernichtung des Lebens ebenso wie über seine Entstehung und repräsentierte, so ein Gelehrter, «den Abgrund, der den Anfang und das Ende bildet, den Ursprung allen Daseins».
In Jezabels Geburtsland Phönizien hieß diese Göttin Astarte. In Babylon war sie Ishtar, in Indien Kali, in Griechenland Demeter (und in ihrer noch nicht erwachsenen Erscheinungsform Aphrodite). Im Land der Angeln und der Sachsen nannte man sie Ostara; im Norden sagte man Freya und in Ägypten Isis – oder Nut oder Hathor oder Neith. O ja, die Göttin hatte viele Namen und spielte viele Rollen. Sie war Jungfrau, Braut, Mutter, Prostituierte, Zauberin und blutrünstige Richterin, alles in einer Person. Sie hatte mehr Phasen als der Mond und kannte seine dunkle Seite wie ihre eigene Westentasche. Sie ging dort ein und aus.
Weil die Göttin so launisch und verspielt war, weil sie das natürliche Chaos ebenso liebevoll akzeptierte wie die natürliche Ordnung, weil ihre warme feminine Intuition nur allzu oft mit dem kühlen männlichen Verstand in Widerspruch geriet, weil die sich auf den Penis gründende Macht ihrer Söhne seit dem Heraufdämmern menschlichen Bewusstseins von der uterinen Magie ihrer Töchter überschattet worden war, landeten rachsüchtige Priester eines hebräischen Nomadenstammes vor etwa viertausend Jahren einen Coup gegen sie – und ein Großteil dessen, was wir als westliche Zivilisation bezeichnen, ist das Resultat. Noch immer nimmt das Leben im Schoß seinen Ausgang,
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