Salomes siebter Schleier (German Edition)
immer noch keinen Piepser von sich gegeben hatte – gerade die Finger um die knorrige Kehle gelegt und war im Begriff, zuzudrücken, als Ellen Cherry hereinstürzte, mit ihrem vollen Wäschesack auf die beiden einschlug und sie auseinanderzerrte. Der dritte Mann glitt von seinem Hocker, als verspüre er nicht übel Lust, sich einzumischen, aber da löste sich aus dem Wäschesack ein frisch gewaschener rosafarbener Spitzen- BH (Größe A, die Körbchen fein säuberlich übereinandergelegt) und landete auf seinen Schuhen. Er zuckte zurück wie ein Vampir beim Anblick von Knoblauch.
Ellen Cherry rettete ihre Unterwäsche, half den Kampfhähnen auf und schob Boomer in Richtung Ausgang. «Bitte um Verzeihung, die Herren», sagte sie. «Mein Mann ist ein kompletter Idiot.» Sie nickten. «Aber Sie müssen zugeben, er ist umwerfend komisch.»
Erst als das Pärchen sich durch die Tür zurückzog, brach der bräsige Mann sein Schweigen. Mit heiserer Stimme krächzte er: «Dir hab ich’s aber gegeben, was?»
Boomer wirbelte auf dem Absatz herum und schwang wütend die Faust. «Du hast’s gar niemand gegeben, du Blödmann! Du nimmst Anabolika! Du bist disqualifiziert!»
Mit einem heftigen Ruck, der glatt einem Tukan den Schnabel abgebrochen hätte, zerrte Ellen Cherry ihn hinaus auf die Straße. In den Rinnsteinen des Kaffs lagen noch dreißig Zentimeter Schnee. Als die verharschten Kristalle die Glut in Ellen Cherrys Augen sahen, wimmerten sie vor Angst. «Was, o was wird im August aus uns geworden sein?», riefen sie wie aus einem Munde.
«Verdammt noch mal, Boomer!», fluchte Ellen Cherry. «Willst du solche Shows etwa auch in New York abziehen?»
Im Inneren der Kneipe war wieder alles beim Alten. Im Fernsehen weinte ein sitzengelassenes Mädchen, in der Jukebox schmachtete ein sitzengelassenes Mädchen, in einem Bierglas löste sich Fliegenscheiße auf, unter der Decke sammelte sich eine Marlborogewitterwolke, auf Drahtgestellen verrottete Trockenfleisch, und auf den Barhockern saßen die beiden Gäste und befeuchteten sich die Kehle mit dem bajuwarischen Nass. Im Gleichtakt.
«Weißte was», sagte der Kleinere und fuhr mit dem Zeigefinger über den Rand seiner Coors-Dose. «Das Arschloch hatte recht.»
«Was meinste denn damit?»
«Das Zeug wirkt tagsüber anders als abends.»
«Bei dir vielleicht.»
«Macht ein’ müde. Man sieht plötzlich Sachen.»
Das Lachen des Bräsigen wirkte so sehr wie ein Erstickungsanfall, dass er sich in der Öffentlichkeit keine Vorabendkomödie anschauen konnte, ohne dass jemand, der ihn nicht kannte, den Heimlich-Handgriff an ihm ausprobierte. Als sein verächtliches Glucksen jetzt schließlich durch die diversen Schleimschichten im Hals gerutscht war, echote er: «Sieht Sachen», als würde schon die Wiederholung der Bemerkung seines Freundes ausreichen, sie zu widerlegen.
«Meine Schwester hat heut Morgen angerufen. Tja, du weißt ja, die verträgt einiges, mindestens so viel wie du und ich. Du bräuchtest schon eins von diesen vermaledeiten Pustedingern, um festzustellen, dass sie nich Nesquik getrunken hat oder so. Ich mein abends. Na schön, heut so um die Mittagszeit hat sie angerufen, aus Pocatello, wo sie wohnt. Sie hatte schon ’n paar getankt. Und sie hat eben Sachen gesehn.»
«Sachen?»
«Na, du weißt schon. Sachen halt.»
«Überall um uns rum wimmelt’s von Sachen, Mike. Wo du auch hinguckst, sind Sachen. Sogar auf dem Hemd von dem Mistkerl, dem hab ich’s aber gegeben. Was hat ’n deine Schwester gesehen – fliegende Untertassen?»
«Ganz normale Sachen, stinknormale alltägliche Sachen. Du verstehst nich, worum’s geht, Mann. Es war morgens, und sie hatte allerhöchstens vier Bier intus. Sie hat im Wagen gesessen und plötzlich geglaubt, sie würd diese Sachen da am Straßenrand langlaufen sehen. Das is alles.»
Der Bräsige schüttelte bedächtig den Kopf. Er schwieg so lange, dass man tatsächlich auf die Idee hätte kommen können, Anne Sullivan zu Rate zu ziehen, damit sie ihm die Sprache wiedergab. Schließlich zupfte er heftig an seinem Schnurrbart und fragte: «Was für Sachen solln denn da langgelaufen sein?»
«Ach, vergiss es.» Mike unterbrach die Kellnerin bei ihrem Dschihad gegen die Fliegenscheiße, bestellte eine neue Runde Coors und wechselte dann das Thema, indem er sagte, Uncle Sam solle doch endlich da unten einmarschieren und den Arabern einfach die Ölfelder abnehmen, fertig. «Nicht, dass ich die Juden vorziehn würd,
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