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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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Kopf umher. Der alte Vater vertrimmte sie mit einem Ballettschuh und schickte sie ohne Milch und Honig zu Bett. Auch der Tanz wurde in diesem Raum verwandelt.
    Das ist also der Raum des Matratzensambas. Die Badewanne voller Orchideen. Die Kleiderkammer voller Rauch.
    Und auf der Wolfsmuttertapete kleine Feuchtigkeitsperlen.
    I & I

Ellen Cherry sah nicht unbedingt nach einer Dollarmillionärin aus, aber keiner konnte abstreiten, dass sie aussah wie die
Steuer
auf eine Million Dollar. Raoul, der Türsteher, war beeindruckt.
    Monatelang hatte Raoul sie in Turnschuhen, farbverschmiertem Sweatshirt und Jeansrock durch die Upper West Side laufen sehen, den ungeschminkten Mund zu einem derartig langen Flunsch verzogen, dass sie damit Münzen von der Straße hätte sammeln können, ohne sich bücken zu müssen. Doch jetzt stand sie hier, an einem regnerischen Herbstnachmittag, und zog einen neuen roten Regenmantel über ein eng anliegendes rotes Wollkleid, ein ganzes Stück größer geworden durch ein Paar Pumps von der Art, die Raoul immer «Komm-mit-und-fick-mich-Schuhe» nannte, und das übliche Stirnrunzeln von den hedonistischen Pigmenten in Lippenstift und Lidschatten zum Anflug eines Lächelns gemäßigt. Das aufregende Make-up unter den ungebändigten Locken hätte auf der Stelle sämtliche Jezabel-Detektoren in Colonial Pines aktiviert. Raoul störte es kein bisschen, obgleich irgendetwas in seinem Unterbewusstsein ihn unmerklich dazu veranlasste, langsam mit dem Daumen über das Kruzifix an seinem Hals zu streichen. Als Ellen Cherry die Geste bemerkte, lächelte sie tatsächlich, vor allem über den
salsa-
Rand, der sich unter seinem Daumennagel zeigte.
    «Hmmm, Mann, sehn Sie klasse aus, Mann», sagte Raoul. «Woll’n Sie ein Taxi?»
    «Nein, danke, Raoul. Mein Boss schickt einen Wagen.»
    «Ach ja? Wusste gar nich, dass Sie arbeiten. Wo arbeiten Sie denn, Miz Charl?»
    Das Erste, was sie sah, als Raoul ihr die Tür öffnete, war ein himmelblauer Volvo-Kombi, der auf der nassen Straße an ihr vorbeizischte. Im gleichen Augenblick fiel ihr ein gleichfarbiger Volvo ein, aber eine Limousine, die der Truthahn achtzehn Monate zuvor überholt hatte. Der Fahrer des Wagens hatte Boomer irgendwie geärgert, und um ihn abzulenken, um zu verhindern, dass er eine seiner schrecklichen Schimpfkanonaden vom Stapel ließ, hatte sie gesagt: «Wieso heißt es eigentlich immer, dass Volvos die sichersten Autos der Welt sind, Liebling?»
    «Verdammt, wenn ich das wüsste», hatte Boomer wutschnaubend erwidert. «Wahrscheinlich haben sie was in die Sitze getan, das einem das Gift aus’m Körper saugt.»
    Ellen Cherry verlor sich in Erinnerungen, und auf ihr Gesicht kehrte eine Traurigkeit zurück, die kein Lidschatten verdecken konnte.
    Raoul stand da und beobachtete sie. Sein ausgebeulter Regenmantel war so schmutzig, dass man in seinen Falten Ackerbau hätte betreiben können, doch auf dem Kopf saß ihm ein funkelnagelneuer, teurer, absolut makelloser Filzhut. Diesen Hut trug Raoul jeden Tag. «Ich mein’, wo gehn Sie zur Arbeit, Miz Charl, dass Sie so gut aussehn?»
    «Hä?» Mit einem Schlag war Ellen Cherry wieder in der Gegenwart, der Zeit, wo man Kummer und Kunst verdrängte, der Zeit eines Neubeginns, einer ungeahnten Gelegenheit im Gastronomiegewerbe. «Oh.» Einen Augenblick lang schenkte sie Raoul ihr strahlendstes Lächeln. «In Jerusalem», sagte sie.
     
    Eine Limousine, elegant und kraftvoll wie eine Vitaminkapsel, hielt vor dem Gebäude. Raoul und der Fahrer halfen Ellen Cherry mit vereinten Kräften auf den Rücksitz. Eine Menge Hilfe für so eine kleine Frau.
    «Jerusalem. Scheiße, Mann, Jerusalem», murmelte Raoul, als der Wagen anfuhr. Raoul fragte sich, ob die
blanquita
Jezabel ihn nicht vielleicht verkohlen wollte. In Raouls Kopf war Jerusalem ein vager, unantastbarer Schemen, eine Stadt auf, aber nicht von dieser Welt, ein Ort, der von Engeln bewacht wurde, wo aber die übelsten Sachen passierten, Mann. Nicht mal der Papst traute sich dahin. Jerusalem war der heiligste und unheimlichste Ort auf der Welt, Mann. Raoul schloss die großen braunen Augen, um sich Jerusalem vorzustellen. Er sah Felsen und Roben, goldene Kuppeln und Esel. Er sah keine Engel, aber er wusste, dass sie da irgendwo rumhingen. Jerusalem – da kam alles zusammen, Mann. Es hatte einen direkten Draht zum Himmel, so wie Spanish Harlem zu Puerto Rico.
    Als er in die Lobby des Ansonia-Hotels zurückkehrte, griff Raoul nach seinem Filzhut

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