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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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und schnippte sorgfältig die Regentropfen ab, einen nach dem anderen. Dabei fragte er sich, ob dieses «Jerusalem», wo Miz Charles arbeitete, nicht auch ein Club sein konnte. Vielleicht war es eine Galerie. Ihm fiel ein, dass sie Künstlerin war. Wie ihr
loco
von Ehemann, bevor er abgehauen war. Vielleicht arbeitete sie ja in einem Laden für religiöse Kunst. Aber in dem Kleid? Mit dem Arsch? Nee, Mann. Vergiss es, Mann. Eine Puerto Ricanerin würde in solchen Schuhen vielleicht sogar zur Kirche staksen, aber eine
blanquita
? So hohe Absätze brachten die Frauen dem Himmel näher, aber die Gringos sahen das anders. In einem solchen Schlitten nach «Jerusalem», Mann?
Blödsinn.
    Raoul zog einen Stift aus seinem schmutzigen Regenmantel und kritzelte auf einen feuchten Notizblock:
    Die Jungfrau Maria sitzt auf’m Esel
    Ihr Söhnchen Jesus auf’m Kreuz
    Mick Jagger sitzt in ’ner Concorde
    Und ’n rollender Stein wird niemals feucht
    Vielleicht würde er für Mrs. Charles einen Song aufnehmen. Mrs. Charles würde ihn im Radio hören. Und dann würde sie mit ihm ficken, Mann.
    Die Limousine schoss durch den Nieselregen im Central Park wie ein Pfeil, der durch den Amazonasdschungel auf den Buckel eines nichtsahnenden Faultiers zuflitzt. Es war das erste Mal, dass Ellen Cherry in einem gummibereiften Gefährt saß, seit der Truthahn den Besitzer gewechselt hatte. Morgen würde sie wieder mit der U-Bahn fahren, doch der heutige Abend war etwas Besonderes, und sie strengte sich an, etwas Besonderes zu empfinden.
    Heute Abend sollte die Eröffnung des Isaac & Ishmael’s stattfinden. Eigentlich war es eine Wiedereröffnung. Das Isaac & Ishmael’s hatte bereits im vergangenen Juni eröffnet. Es dauerte keine vierzehn Tage bis zum ersten Brandanschlag. Nun, da der Schaden behoben und die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden waren, plante man den zweiten Anlauf.
    Ellen Cherry machte sich keine großen Sorgen wegen ihrer Arbeit im I & I. Ab morgen würde sie die Tagesschicht übernehmen. Die altehrwürdige Sicherheit der Lunchzeit. Die Dinnerschicht und die Cocktailschicht dagegen, hatte sie gehört, waren so nervös wie der Schwanz des Q bei einer alphabetischen Massenpanik. Die Angestellten schienen ziemlich überzeugt davon, dass man das Restaurant erneut aufs Korn nehmen würde.
    Nicht weniger als sieben Organisationen hatten damals die Verantwortung für den Brandanschlag auf das I & I übernommen: drei militante zionistische Gruppen, drei verbotene islamische Sekten und eine fundamentalistische christliche Gang, die sich «Jesu kleine Streichholzmänner» nannte. Ihr Motto war ein Spruch, den Lukas ( 12 , 49 ) unserem Erlöser zuschreibt: «Ich bin gekommen, dass ich ein Feuer anzünde auf Erden.» Seit mehr als einem Jahr trieben die Streichholzmänner ihr Unwesen und setzten «gottlose» Institutionen in Brand, vor allem in Brooklyn und Queens. Manchmal wurden sie auch Heilige Pyromanen oder Gottes Glühwürmchen genannt.
    In Wahrheit, so vermuteten die Ermittler der Polizei, war der Brandanschlag auf das I & I einer achten Organisation zuzuschreiben, einer Koalition aus ultraorthodoxen Zionisten und christlichen Evangelisten, die sich jüngst als Third Temple Platoon, Inc. einen Namen gemacht hatte. Einer der Hauptsprecher der Gruppe war Reverend Buddy Winkler aus Colonial Pines, Virginia.
    Onkel Buddy hatte seine Juden gefunden.
    I & I

Ein Araber und ein Jude eröffneten gemeinsam ein Restaurant gegenüber den Vereinten Nationen …
    Hört sich an wie der Anfang eines Judenwitzes. Aber die Geschichte von Isaac und Ishmael war überhaupt nicht komisch. Klar, sie hatte ihre lustigen Seiten, wie wahrscheinlich alle lohnenden Abenteuer, und weder der Araber noch der Jude war ein Kind von Traurigkeit, doch das I & I war ein ernst gemeintes Unterfangen, ein idealistisches, vielleicht sogar ein heroisches Experiment.
    Ein Araber und ein Jude beschlossen, gemeinsam ein Restaurant zu eröffnen. Es sollte eine Geste ungewöhnlicher Zusammenarbeit sein, eine symbolische Versöhnung, ein exemplarisches Statement für den Frieden – im Nahen Osten und darüber hinaus. Wenn es gelänge, in kleinem Rahmen zu beweisen, dass traditionelle, «natürliche» Feinde sich für einen gemeinsamen Zweck, von dem beide etwas hatten, zusammentun konnten, würde das nicht überall auf der Welt Feinde inspirieren, einander in die Augen zu sehen und den Weg einer beiderseits nützlichen Freundschaft einzuschlagen? Das

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