Salomes siebter Schleier (German Edition)
Verlin ans Telefon. «Wie bist du denn mit der – wie hieß das Ding noch gleich? – Dura-Torque-Aufhängung zurechtgekommen?»
«Is’n Gefühl, wie durch Kartoffelpüree zu fahren», erwiderte Boomer.
«Hab ich mir gedacht», sagte Verlin.
Übrigens, da wir gerade vom Truthahn sprechen, überall, wo sie anhielten, von der Westküste bis New York, waren sie gefragt worden: «Was verkauft ihr?» – «Wen repräsentieren Sie?» – «Für welche Gesellschaft arbeitet ihr? Armour’s?» – «Kommen wir ins Fernsehen?» Es war traurig, aber die Leute konnten einfach nicht fassen, dass ihr überdimensionales Hauptgericht kein Reklametrick, keine Werbung für irgendwas war.
«Sie kapieren’s nicht», beklagte sich Boomer. «Geht es denn nicht in ihren Kopf, dass sich nicht alles auf der Welt ums Geld dreht? Dass man manchmal eine Sache nur macht, um zu sehen, wie sie wird, oder weil man das Gefühl hat, irgendwer muss sie einfach machen?»
Da sah Ellen Cherry ihn beinahe bewundernd an. Sie sah ihn im zerbrechlichen Glanz neugewonnener Zuversicht.
Eines Tages wird dieser Holzkopf vielleicht doch noch imstande sein, die Kunst zu verstehen
, dachte sie.
I & I
Vorwärts, marsch
! Ein Verband von lakritzschwarz gepanzerten Ameisen (eine pulsierende Arterie von Bluesnoten, eine Linie Erdferkel-Kokain) näherte sich im Gleichschritt,
links zwo drei vier fünf sechs
(jede von ihnen hatte drei Paar Beine), die zuckenden Fühler rotierend wie die Parallelfäden in Salvador Dalís Glühbirnen, dem leckgeschlagenen Can o’ Beans – so wie sich im Lauf der Jahre unzählige Soldatenkolonnen Jerusalem genähert hatten.
Physisch und metaphorisch mit seinen felsigen Hängen verwachsen, konnte Jerusalem nur stehen bleiben und kämpfen. Can o’ Beans dagegen konnte, indem er schwankend einen Meter hierhin, einen Meter dorthin watschelte, den militanten Ameisen erfolgreich ausweichen.
Das ist die Schwäche der Schreibtischhocker
, dachte er/sie grinsend.
Sie treffen einfach keine beweglichen Ziele.
Die Ameisen kamen ganz in Schwarz, wie die Leute in der Kirche, eine Ironie, die Can o’ Beans durchaus nicht entging. Ehrlich gesagt wurde ihm/ihr dabei schon ein bisschen mulmig, aber er/sie nahm es mit Humor. «Finden Sie nicht, dass Ameisen spießig sind?», fragte er/sie einen in der Nähe herumliegenden Ziegelstein. «Jessas, nicht mal William F. Buckley würde im Smoking zum Picknick erscheinen.» Der Ziegelstein, der genauso wenig Sinn für Humor besaß wie die Ameisen, blickte ausdruckslos ins Leere, und Can o’ Beans machte einen Schlenker nach links. Diese Ausweichmanöver hinderten ihn/sie jedoch keineswegs daran, fasziniert und aufmerksam den Trauergottesdienst zu verfolgen.
Wie eine verblichene italienische Mama, die auf ewig dazu verdammt ist, den Dämonen der Hölle Pasta zu kochen, nudelte die Frau des Pfarrers einen geschmacklosen Einheitsbrei von Tönen aus einer pfeifenden alten Orgel. Der Pfarrer widerstand tapfer der Versuchung, ein bisschen Pfeffer dazu beizusteuern. Stattdessen zauberte er ein schmackhaftes Arrangement zuckersüßer Gemeinplätzchen zusammen und offerierte es der Trauergemeinde. Er wählte Worte wie «Heldentum», «Opfer» und «himmlischen Lohn», während die Köpfe schluchzend auf und nieder tanzten wie Angelkorken in einem gutbesuchten Fischteich. Später trugen sie das zerschmetterte Skelett (das sich mit jedem Knochen nach Rock ’n’ Roll sehnte) hinaus auf den Friedhof, breiteten eine amerikanische Flagge über den Sarg und feuerten in die Luft (als seien die Wolken daran schuld, dass er tot war). Ein einsames Horn zerriss den Frühlingsmorgen mit einem Geheul, das trauriger war als ein mitternächtlicher Güterzug, und dann ließen sie ihn hinab, an der fruchtbaren Krume vorbei in die mineralische Erde, wo er für die Jets einer Zukunft, die Wyoming sich noch gar nicht vorstellen konnte, zu Gas komprimiert werden würde.
Während er/sie dies alles in sich aufnahm und zugleich der Ameisenattacke auswich, fragte sich Can o’ Beans, ob menschliche Lebewesen sich nicht viel zu schnell mit unvorstellbarem Leid abfanden, obwohl dieses sich mit einem winzigen Aufwand an Phantasie hätte vermeiden lassen können. Ohne es zu wissen (denn sie hatte keine Ahnung von den vielfältigen Auswirkungen von Salomes Tanz), hatte die Bohnendose den Schleier der politischen Illusion – und auch das Zögern der Menschheit, ihn zu lüften – als Ursache für diese traurige
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