Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
Vom Netzwerk:
beweisen, dass zwei verschiedene Sorten Rettich durchaus im gleichen Beet gedeihen und sich sogar gegenseitig befruchten konnten – vorausgesetzt, sie wurden von scharfmacherischem Meerrettich in Ruhe gelassen.
     
    Stammkunden – und während seiner zweiten Ruhmesphase gewann das Restaurant tatsächlich einige Kunden – sprachen vom Isaac & Ishmael’s nur als dem «I & I». Das Personal schloss sich an, bis auf Ellen Cherry Charles, die ihre Arbeitsstelle normalerweise «Jerusalem» nannte. Die beiden Besitzer waren nämlich dermaßen verliebt in die ferne Stadt, dass sie Tag und Nacht in den höchsten Tönen von ihr schwärmten.
    In den Lobgesängen von Spike Cohen und Roland Abu Hadee war Jerusalem ebenso traumhaft und unerreichbar wie in den Betrachtungen Raouls, des Türstehers, wenngleich sich Raouls Vorstellung von der Heiligen Stadt aus düsteren und ungenauen Illustrationen in einer spanischsprachigen Ausgabe der Heiligen Schrift speiste, wogegen Spike und Abu Jerusalem nicht nur mehrmals besucht hatten, sondern auch die Mittel besaßen, es immer wieder zu tun. Sie hätten ihr Restaurant sogar in dieser Stadt ihrer sehnsüchtigen Träume eröffnet, wenn die israelische Regierung es erlaubt hätte.
    Am Ende waren die Herren ganz zufrieden mit der Lage des Lokals. Das Gebäude selbst war möglicherweise nicht das Gelbe vom Ei, doch seine Nähe zum Hauptquartier der Vereinten Nationen verlieh dem I & I eine halboffizielle Aura und verknüpfte es, symbolisch zumindest, mit dem Zentrum aller Hoffnungen der Welt auf Einheit und Frieden. Im Übrigen sorgte die Tatsache, dass das Lokal sich in New York befand, für weit größere Aufmerksamkeit in den Medien, als sie in Jerusalem je hätten bekommen können. Daher taten sie so, als sei die Nähe zu den Vereinten Nationen von Anfang an intendiert gewesen.
    Das hielt sie jedoch keineswegs davon ab, von Jerusalem zu träumen, als sei Jerusalem eine reiche und wunderbare Frau, die sie zu ihren Liebhabern erwählen würde, kaum dass sie von ihrer Krankheit genesen war.
    I & I

Joshua Cohen, alias Spike, kam als Sohn einer armen, Jiddisch sprechenden Familie in Manhattans Lower East Side zur Welt. Er war zwölf Jahre alt, als er zum ersten Mal einen menschlichen Zeh sah, der nicht ihm selbst oder seiner Mama gehörte. Warum? Dazu kommen wir gleich.
    Im eisigen Winter 1923 waren seine Großeltern väterlicherseits mit ihren drei Kindern zu Fuß aus Russland geflüchtet und damit einem kurzen, aber grausamen Pogrom entronnen, das die Tschekisten in Kiew organisierten. Sie flohen über Polen nach Deutschland, wo sie Verwandte hatten. Großvater Cohen war Schneider, und seine Frau hatte jeden Fetzen Stoff aus seinem Laden aufgehoben und ihnen davon warme, dick gefütterte Mäntel und Mützen für die Flucht genäht. Ihre Fußbekleidung jedoch bestand aus Straßenschuhen von feinstem Leder. Als die Familie endlich in Deutschland ankam, waren ihre Füße so voller Frostbeulen, dass sie sich die Zehen amputieren lassen mussten. Alle Zehen an allen Cohen-Füßen. Fünfzig Zehen insgesamt, fünfzig grün glänzende Eiswürmchen, die wie Fischköder in den Abfalleimer eines Berliner Krankenhauses geworfen wurden.
    Die Berliner nannten sie die «Krebsfamilie», wegen der Art, wie sie gingen. Sie huschten auf den Spitzen ihrer Stummel über die Bürgersteige, manchmal so hastig, dass sie stürzten und auf die Nase fielen. Da es ihnen peinlich war, so riesige Landkrabben in ihrer Mitte zu haben, veranstalteten die deutschen Verwandten der Cohens eine Kollekte und zahlten dem zehenlosen Stamm die Überfahrt nach Amerika.
    Als der mittlere Sohn heiratete, und er war der Einzige von den drei Geschwistern, der sich dazu entschließen konnte, holte er seine Braut in das Mietshaus über der Schneiderei in der Orchard Street, wo die Cohens, von einer auf die andere Seite schlingernd (sie schwankten noch abenteuerlicher als Can o’ Beans), herumkrebsten. Als kleiner Junge fand Joshua, dass die langen, rosigen und makellosen Zehen seiner Mutter das Allerschönste auf der Welt waren.
    Abgestoßen von den plumpen Stummeln, auf denen der Rest der Familie den täglichen Krebstanz des Lebens vollführte, betrachtete der kleine Joshua die Füße seiner Mutter und liebkoste die Füße seiner Mutter, als hätte sie ein genialer Renaissance-Bildhauer aus Alabaster geschnitzt, dabei waren es in Wirklichkeit ganz gewöhnliche Exemplare. Als er älter wurde, übertrug sich die Liebe zu den

Weitere Kostenlose Bücher