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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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morgendliche Veranstaltung erkannt.
    Seiner Familie, den Freunden, seiner Freundin, seinem Jagdhund, der Gesellschaft und sich selbst nun auf ewig entrissen, war dieser arme junge Seemann wenige Meilen von Jerusalem entfernt gefallen, ohne den leisesten Schimmer von der Lage im Nahen Osten zu haben. Wahrscheinlich glaubte er, es ginge um einen Kampf zwischen Richtig und Falsch, Gut und Böse, Freiheit und Unterdrückung. Das war sein zweiter Fehler. Der dritte war die sichere Überzeugung, dass, selbst wenn
er
nichts von der Situation verstand, seine Vorgesetzten schon wissen würden, wo es langging. Sein erster – und verhängnisvollster – Fehler aber hatte darin bestanden, blind zu tun, was von ihm verlangt wurde. Ohne ihre Methoden oder Motive auch nur im Geringsten anzuzweifeln, hatte er Politikern gestattet, Entscheidungen zu treffen, die zu seinem frühzeitigen Ableben geführt hatten.
    Was ist Politik letztlich anderes als der zwanghafte Wille, zu besitzen, zu herrschen und Entscheidungen für andere zu treffen? Freiheit, dieses absolute Gegenteil von Besitzdenken und Kontrolle, kann daher nicht aus politischem Handeln resultieren, wird weder in Wahlen noch auf den Barrikaden erstritten; Freiheit entwickelt sich aus einer Haltung heraus. Wenn sie überhaupt aus etwas resultiert, dann wahrscheinlich aus Sorglosigkeit.
    Unbelebte Objekte, die dazu bestimmt sind, ihr Leben in
äußerlicher
Passivität und in Gehorsam zu verbringen, verstehen vielleicht besser als Menschen, dass wahre Freiheit eine innere Haltung ist, unabhängig von den Launen der Politik. Freiheit kann man nicht besitzen. Daher kann man sie sich auch nicht aneignen. Oder sie kontrollieren. Aber man kann sie aufgeben. Der Seemann aus Wyoming hatte seine Seele verkauft, lange bevor er seinen Körper opferte. Und dieser innerliche Tod war beklagenswerter als der physische – jedenfalls in den Augen von Can o’ Beans.
    In nicht allzu ferner Zukunft, bei einer jähen Tanzbewegung, könnte auch der dritte Schleier fallen, derjenige, hinter dem sich gelegentlich die politische Zweckmäßigkeit (meistens vergänglich, häufig dumm, regelmäßig korrupt) als zeitloser, universeller Ausdruck von Freiheit, Tugend und Vernunft ausgibt. Dann machen sich junge Leute vielleicht ihre eigenen Gedanken über die «Freiheiten», die sie zu verteidigen gewillt sind, und retten damit nicht nur ihre Seele, sondern, wenn sie schnell genug denken und laufen können, auch ihr Leben.
    Bis dahin muss jeder Einzelne noch selbst, so gut er kann, an der Verkleidung zerren, um schließlich, wenn er genügend Durchblick gewonnen hat, sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen ist kein Honiglecken. Frag nur mal Can o’ Beans. Angelockt (ebenso wie die Industrienationen vom Öl des Nahen Ostens) von der herausquellenden Sauce, dem Zucker und Maissirup darin, setzten die Ameisen ihre Verfolgung erbarmungslos fort. Can o’ Beans dagegen drohte allmählich schlappzumachen.
    Doch da der Einzelne die Masse gewöhnlich austricksen kann, sammelte die geschundene Bohnendose mit einer verzweifelten Anstrengung ihre letzten Kräfte und machte einen wilden, unbeholfenen Satz mitten in eine Pfütze, die entstanden war, als der Friedhofsgärtner nach dem Ende der Trauerfeier saubergemacht und die Pflanzen auf dem Grab etwas zu reichlich mit Wasser bedacht hatte. Die untere Hälfte ihres Etiketts weichte auf und löste sich vom Blech, doch was soll’s, das war zu verschmerzen. Frustrierte Ameisen säumten das Ufer und verfluchten ihren Schöpfer, der sie zu den leistungsstärksten Geschöpfen der Erde gemacht, aber irgendwie vergessen hatte, ihnen das Schwimmen beizubringen.

Der vierte Schleier
    Das ist der Raum mit der Wolfsmuttertapete, der Raum, wo die schwarze Madonna durch den Kamin fiel und ein Loch ins Linoleum brannte. Ungezählt sind die Antilopenhufe, die über diesen Boden stampften. Kein Wunder, dass das Linoleum abgenutzt ist.
    Das ist der Raum, wo die schwarze Madonna entführt wurde, um später in der großen Moschee von Mekka gefangen gehalten zu werden. Nach all den Jahren befragen sie sie immer noch nach der genauen Position des Nordens. «Warum steht der Polarstern nicht still?», wollen sie wissen. Dies und … noch etwas anderes.
    In diesem Raum wurde der Salamander zwischen den Seiten des Reimlexikons zerquetscht, was die Poesie auf ewig verwandelte. Hier trug Salome einen großen roten Fisch hoch über dem

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