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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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Technicolorfarben überschüttet hatte, besaß er nicht mal mehr das Kleingeld für Aspirin.
    «Hilfe!», winselte er. Das war keine wohlklingende Zeile, kein kleines Gedicht. Und niemand schenkte ihm Beachtung. Kein Araber in Los Angeles erhörte sein Flehen. Er hatte Schimpf und Schande über seine Rasse gebracht. Seine R-Gespräche mit arabischen Bekannten in ganz Amerika wurden abgelehnt. «Ungläubiger!», brüllten sie der armen Vermittlung in die Ohren. Schließlich bot ihm ein entfernter Cousin in einem Außenposten namens Madison, Wisconsin, einen Job in seinem französischen Restaurant an – unter der Bedingung, dass er sich verpflichtete, drei Jahre für den Mindestlohn zu arbeiten, in dieser Zeit täglich eine Stunde den Koran zu lesen und sich des Genusses von Alkohol und Schweinefleisch sowie der Gesellschaft von Frauen zu enthalten. Es war ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte.
    Da er groß, kultiviert und vielsprachig war und überdies in Harvard studiert hatte, nahm Abu an, dass er zum Oberkellner oder Maître d’ berufen würde. Diese Annahme erwies sich als irrig. Bei seiner Ankunft in Madison (mittels kultiviertem, vielsprachigem Daumen) wurde er durch die Hintertür des Restaurants eingelassen und geradewegs zu einer überdimensionalen Spüle voller schmutzigen Geschirrs geleitet. «In der Vorratskammer steht ein Feldbett», sagte sein Cousin. «Da kannst du schlafen. Sobald du diese Küche gewienert hast. Und morgen früh nimmst du diesen lächerlichen Schnurrbart ab.»
    Wasser summte. Abflüsse gurgelten. Leitungen hämmerten. Dampf stieg auf. Seifenlauge schäumte (nicht ein einziger eleganter alexandrinischer Vokal in dieser beißenden Industriebrühe). Fett erstarrte. Schmutz, wohin das Auge sah. Salatrestinseln und Entenfettbojen tanzten im Wasser. Löffelchen waren mit
mousseline de volaille
überzogen, Schneebesen mit
œufs à la Bourguignonne
verkrustet, Teller voll schmieriger Reste von
beurre d’anchois
. Der eingetrocknete Teig auf den Backformen erinnerte an verhärtete Ablagerungen von Mondgestein. Er verbrannte sich die Haut an diesen heißen Backblechen und dann die Brandblasen an heißen Pfannen. Geflügelscheren, Käsereiben, zerbrochene Weingläser und scharfkantige Zerkleinerungseinsätze verbündeten sich mit Messern jeder Größe, um in den trüben Gewässern Jagd auf seine Hände zu machen, ihm Schnitte, Abschürfungen und Schrammen beizubringen, wo es nur ging. Kaum fing die Wunde an zu heilen, fielen Stahlwolle und Scheuerpulver über die Kruste her und rieben die rosigen Narben mit Hitze und Nässe auf. Bis zum Bizeps schimmerten Abus Arme vor Fett, der Dampf färbte sein Gesicht hummerrot, und seine schrumpeligen Finger, die mittlerweile eine gewisse Ähnlichkeit mit der Vorhaut alter Eremiten aufwiesen, stanken Tag und Nacht nach Knoblauch, ranzigem Öl und Mülleimer. Seine Kleider waren vom gleichen, übelriechenden Aroma durchsetzt. Am ganzen Körper setzten sich klebrige Warzen von Gekochtem fest, Placken von Fauna und Flora, denen keine Fruchtbarkeitsgöttin je wieder ihren Segen spenden würde.
    Für viele wäre es die Hölle gewesen (eine von Julia Child erfundene, um Colonel Sanders zu bestrafen), diesen sengend heißen Pfuhl mit seinem wogenden Schaum, den Essensresten, der organischen Schlacke und den gefährlichen Metall- und Glasminen auch nur zu betrachten. Tatsächlich sah Roland Abu Hadee, als er die ersten paar Male in diesen Abgrund von Spüle starrte, die Augen des Scheitans gnadenlos zurückstarren, und als sich ihm vor Schreck der Magen umdrehte, meinte er glucksende und pinkelnde Asbestdämonen zu hören. Er hielt den Atem an, schloss die Augen, tauchte die Hände in die teuflische Brühe – und verlor auf der Stelle das Bewusstsein.
    Es war das Wunderbarste, was er je erlebt hatte.
    Nach etwa einer Woche, als der Ekel und die Schwindelanfälle nachließen, begann das Abwaschen eine beruhigende Wirkung auf ihn zu haben, mehr noch, eine läuternde, ja transzendierende Wirkung. Es war, als spülte das Abwaschwasser, grau und fettig wie das Haar eines Penners, seine arrogante Verwirrung hinweg. Wenn er Töpfe schrubbte, reinigte er ganz nebenbei seine Seele, befreite sie von allen Schwielen, machte sie wieder empfänglich für menschliche Regungen. Der Alkoholfilm ging ab und legte zuerst eine Schicht von Schuldgefühlen und dann ein ungeheures Entsetzen frei. Das schlechte Gewissen war verständlich: abgenippelte Brustwarzen und so weiter.

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