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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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Das Entsetzen war eine Überraschung. Bis zu seiner Taufe im schäumenden Napalm der Spüle hatte er nicht gewusst, wie groß seine Angst gewesen war, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, das steife Lächeln und die Krakenarme eines weitläufigen Geschäftsmannes zur Schau tragen, mit einem Kopf voller Zahlen durch die Welt gehen zu müssen, die weder sangen noch sich reimten.
    Mit der Zeit überkam ihn eine gewisse Gelassenheit, Ehrfurcht gar. Seine Madisoner Verwandten schrieben die Veränderung dem Koran zu, doch es war der glühend heiße Bottich, der Abu reinigte, die Spüle mit ihren versunkenen Silberschätzen, ertrunkenen Kakerlaken und dahinsegelnden Tupfern von
sauce béarnaise
. Die Drahtbürste feierlich erhoben wie in einem Ritual, schob er den seifigen Schleier beiseite und drang in die Unterwasserhöhle ein wie ein Pilger, der in einen heiligen Fluss taucht. Neben einem vor Gänsefett gelierenden Ganges legte er all seine Bürden ab.
    So vergingen drei Jahre. Nach Erfüllung der Abmachung nahm Abu Abschied von Töpfen und Pfannen. Wie ein Mönch ohne Kloster streifte er einsam und verlassen durch Madison. Ein antrainierter rebellischer Reflex bewirkte, dass er sich als Erstes den Bauch mit Hot Dogs und Bier vollschlug und dann seine Nächte der weitgehend erfolglosen Jagd auf Studentinnen der University of Wisconsin widmete. Das sechs Monate lang, und es sprang keine einzige Stunde der Befriedigung dabei heraus. Als seine Ersparnisse verpulvert waren, kehrte er zum Restaurant zurück und forderte seinen Job wieder ein. «Na schön», sagte sein Cousin. «Aber nur unter zwei Bedingungen. Du wirst dich bei mir zum Küchenchef ausbilden lassen. Und du wirst meine Tochter heiraten.»
    Nabila war keine Schönheit, zugegeben, aber wie stand es um Roland Abu Hadee? Er war groß und dunkel, okay, und stets gelassen und würdevoll, aber seine Nase …! Der Dampf hatte seinen semitischen Zinken dermaßen gerötet, dass er mittlerweile dem Bug der
S. S. Tomate
oder einem im Windkanal entworfenen Stoppschild glich. Was für ein Fang war ein Junggeselle, dem die Kinder von Madison «Rudolph! Rudolph! Rudolph!» nachriefen? Und außerdem, welche Braut sehnte sich schon nach der Liebkosung durch vom Wasser verschrumpelte Finger, die aus unzähligen Runzeln kalte, nach Fisch stinkende Feuchtigkeit abzusondern schienen?
    Obwohl sie mehr oder weniger zur Ehe genötigt worden waren, lernten Abu und Nabila einander erst zu mögen und später sogar zu lieben. Um sich von ihrem Vater unabhängig zu machen, sparten sie jeden Dime und eröffneten schließlich in der Nähe des Universitätscampus einen Falafel-Stand. Die Gewinne flossen spärlich, aber regelmäßig; das Pärchen lebte bescheiden, aber glücklich. Der Falafel-Stand war wie ein Fenster in die akademische Welt, die Abu zuvor verachtet hatte. Von Erstsemestern, Doktoranden und jungen Dozenten, die zu seinen ersten Stammkunden zählten, schnappte er kleine Gedichte der Wissenschaft, wohlklingende Zeilen aus Jurisprudenz und Kunst auf. Im Gegenzug versorgte er sie auf seine Art mit Beschreibungen des Nahen Ostens, jener geographisch bewanderten Schnappschildkröte, die schon damals den amerikanischen Hirnstamm im Maul hatte und ihn nie wieder loslassen sollte.
    «Ägypten?», sagte er und füllte Kichererbsen in die Mühle. «Ägypten ist so heiß wie eine Zigeunerhochzeit und so ausgedörrt wie Skarabäusatem. Ägypten betrachtet die Welt durch Katzenaugen. Ägypten hat ein Herz aus grüner Chilipaste. Mit Krokodilklauen und Mumiengeschmeide hat Ägypten seinen Namen für alle Ewigkeit ins Fundament der Geschichte geritzt. Vor dem Islam dachten die Ägypter nur an die Unsterblichkeit. Seit dem Islam denken sie nur an das Leben nach dem Tod. Wo ist der Unterschied? Um den Unterschied zu verstehen, muss man monatelang ohne einen Tropfen Flüssigkeit gelebt haben. Ist das mit dem Nahen Osten also eine Frage des Klimas? Vielleicht. Der Mond …» Mit einer Gurke, die ebenso groß war wie seine Nase, aber komplementär gefärbt, deutete er auf die Halbmonde, die seinen Stand dekorierten. «Der Mond gehört den Moslems genauso wenig wie den Hindus oder Eskimos. Der Spiegel des Mondes reflektiert nur die in uns allen verborgene Poesie. Die Sonne dagegen gehört den Semiten.»
    Und so weiter und so fort.
    Das Fenster des Falafel-Standes bot auch einen ziemlich guten Ausblick auf die Antikriegsdemonstrationen, die Madison in den sechziger Jahren erschütterten.

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