Salomes siebter Schleier (German Edition)
Unterschiede, sexuelle Unterschiede.» (Bei dem Wort «sexuelle» zuckte Ellen Cherry unwillkürlich zusammen.) «Meiner Meinung nach können solche Unterschiede gut sein. Wie langweilig, wenn wir alle gleich wären. Welche Sackgasse für die Evolution! Um Brüder zu sein und in Frieden miteinander zu leben, müssen wir nicht alle gleich sein. Wir brauchen die Eigenheiten des anderen nicht unbedingt zu bewundern, wir brauchen sie nicht einmal zu mögen. Wir müssen sie nur
respektieren
– und dankbar dafür sein. Unsere Ähnlichkeiten sorgen für eine gemeinsame Basis, die Unterschiede dagegen machen es möglich, dass wir uns gegenseitig anziehen. Unterschiede sorgen für die Würze, den Kick, das gewisse Etwas bei menschlichen Begegnungen.»
Trivial oder nicht, Ellen Cherry fand Abus Ansichten gut. Hätte er so was mit Onkel Buddys Stimme sagen können, wäre er unwiderstehlich gewesen. Hätte ein Mann Mr. Hadees Ansichten und Reverend Buddy Winklers Stil in sich vereinigen können, so hätte er in ihren Augen eine passable Kopie jenes Messias abgegeben, um den die Verrückten da draußen so viel Tamtam machten. Natürlich war Ellen Cherry ziemlich beschickert.
«Was meinen Sie denn zu den Demonstrationen?»
«Was ich dazu meine?»
«Ja, Sie wissen schon, wie Sie die Sache …» Ihre Gedanken schweiften ab, vielleicht in einem unbewussten Versuch, ihre überschäumende Fülle zu bändigen. Abus blühende Phantasie dagegen konzentrierte sich voll auf das Thema.
«Es gibt auch Unterschiede zwischen Juden», sagte er. «Die Juden sind nicht alle aus demselben Holz geschnitzt, glauben Sie das ja nicht. Ihr sogenanntes Zusammengehörigkeitsgefühl, ihre Solidarität, kennt viele Ausnahmen. Dennoch brennt eine gemeinsame Flamme in ihrem Blut, und so unterschiedlich ihr Leben nach außen hin auch verlaufen mag, alle Juden lesen die Geschichte ihres Lebens im Schein dieser Flamme. Es kränkt Spike Cohen, wenn er von anderen Juden so hart angegriffen wird. Er mag es leugnen, unser Schuhwolf, aber man merkt ihm an, dass die Angriffe ihn verletzen. Wir Araber dagegen sind daran gewöhnt. Wir haben einander bekämpft, so weit die Sandkörner zurückdenken können. Vendettas, Überfälle, Blutrache, all das gibt es in der arabischen Welt häufiger als Öl oder Dromedare. Araber haben sich gegenseitig mehr Wunden zugefügt als den Juden. Mich überrascht es nicht, dass es da draußen auf der UN Plaza Araber gibt, die mich am liebsten in einen Lutscher verwandeln würden. Sie verstehen? Die meinen Kopf aufspießen wollen.»
Abu schwieg. Ellen Cherry und er wechselten verstohlene Blicke, und beide versuchten vergeblich, sich seinen dunklen Kopf nicht als am Spieß geröstetes Marshmallow vorzustellen.
Schließlich fuhr er fort: «Sie sind doch Künstlerin …»
Aha, Themawechsel
, dachte sie.
Er ist wieder bei der Dekoration. Tja, dabei kann ich ihm nicht helfen. Er würde gar nicht verstehen, was ich im Moment male. Ich verstehe es ja selbst kaum.
«Sie sind doch Künstlerin. Kennen Sie das große Bild im Museum im Stadtzentrum, das Bild von diesem Burschen namens Rousseau? Es heißt
Der schlafende Zigeuner
.»
«Na klar. Das ist ein ganz berühmtes Bild.»
«Es sollte besser
Der schlafende Araber
heißen, dieses Bild. Der Araber liegt in der Wüste und schläft unter einem verrückten Mond. Ein Löwe schnuppert an dem Araber. Der Araber hat keine Angst. Der Araber träumt weiter. Der Fluss im Hintergrund, ich glaube, der Fluss ist der Traum des Arabers. Vielleicht ist auch der Löwe ein Traum: Sie sehen, dass seine Tatzen keine Spuren im Sand hinterlassen. Auf alle Fälle, meine Liebe, ist dieses Bild ein sehr treffendes Porträt des arabischen Charakters. Stolz und frei schläft der Araber furchtlos unter den wilden Sternen der Nacht. Aber er träumt. Träumt immerzu vom Wasser. Träumt von Gefahren, wenn keine wirklichen Gefahren drohen, um seine Tapferkeit zu beweisen. Der Araber lebt in seiner Phantasie. Wir sind kein praktisches Volk wie die Juden. Der Jude bringt etwas zuwege. Der Araber träumt – und führt Gespräche mit dem Mond.
Aber, meine liebe Ellen Cherry, was ist noch auf diesem wunderbaren Bild von Rousseau zu sehen? Sagen Sie es mir.»
«Was noch? Was noch darauf zu sehen ist? Warten Sie. Äh, ja, ich glaube, da steht noch irgendein Gefäß oder so was …»
«Richtig. Ein Wasserkrug. Und was noch?»
«Äh …»
«Ein Musikinstrument. Stimmt’s? Eine Art Mandoline, das, was die
Weitere Kostenlose Bücher