Salomes siebter Schleier (German Edition)
ihrer Wunschliste ganz oben gestanden. Aber von wegen. Beinahe musste sie lachen. Noch vor anderthalb Jahren, als sie mit ihrem Flitterwochentruthahn durchs Land gefahren waren, hatte sie sich insgeheim ein Szenario ausgemalt: In New York, das war klar, würde sie sich früher oder später in einen Künstlerkollegen verlieben, einen erfolgreichen Maler wahrscheinlich, einen Mann, der sie, ihre Arbeit und ihre kreativen Bedürfnisse wirklich verstand; und seinetwegen würde sie Boomer verlassen, würde sie dem guten Boomer das Herz brechen müssen. Damals war ihr das so unausweichlich erschienen, dass sie heimlich schon einstudiert hatte, was sie unter echten Tränen sagen würde, wenn sie ihm eröffnete, dass sie sich von ihm scheiden lassen wollte. (Da waren sie in Minnesota, wohlgemerkt, in Minnesota und Wisconsin, und hie und da lag noch ein vergessenes Reiskorn von der Hochzeitsfeier auf dem Teppich des Airstream.) Was für eine Anmaßung, wie sich herausstellte. Was für ein Witz!
Boomer hatte
sie
verlassen. Und der New Yorker Maler, den sie in ihre Gedanken
oder
ihr Höschen lassen würde, musste ihr erst noch über den Weg laufen. Aber natürlich kannte sie bisher auch nicht viele.
Was andere Männer anging, Singles, die sie in Clubs und Bars und auf Partys kennengelernt hatte, nun ja … Die meisten schienen eines gemeinsam zu haben: Nachdem sie am Punkt A verletzt worden waren, sicherten sie sich dagegen ab, an Punkt C erneut verletzt zu werden, indem sie sich an Punkt B in Arschlöcher verwandelten. Doch ehrlich gesagt galt das auch für alleinstehende Frauen über dreißig.
Männer für eine Nacht kamen nicht in Frage. Angst vor Aids.
Könnte sie mit Mr. Hadee oder Mr. Cohen schlafen? Ja, in der Tat. Mr. Hadee war so kultiviert und süß, Mr. Cohen so dynamisch und gut aussehend. Vielleicht wäre es ganz nett, einen älteren Liebhaber zu haben. Mit seinem Boss zu schlafen hatte unübersehbare Vorteile, obgleich die Kellnerinnen, die sie kannte, dabei offenbar stets den Kürzeren gezogen hatten. Leider war Mr. Hadee glücklich verheiratet. Und Mr. Cohen, tja, irgendwie wurde ihr immer ein bisschen schwummrig, wenn er ihre Füße anstarrte. Wie hatte Mr. Hadee ihn noch genannt? Unser Schuhwolf.
Ein älterer Mann, der als Kandidat garantiert nicht in Frage kam, ganz gleich, ob seine Stimme ihre Säfte zum Sprudeln brachte oder nicht, war Buddy Winkler. Bisher hatte ihr Daddy Buddy verheimlicht, dass sie wieder für den Araber und den Juden arbeitete. Dafür hatte Bud spitzgekriegt, dass Boomer und sie sich getrennt hatten, und da er automatisch davon ausging, dass es ihre Schuld war, hatte er bereits sein Interesse bekundet, ihr seinen weisen Ratschlag angedeihen zu lassen. O Gott, sie hoffte nicht, dass er sie in diesem geschwächten Zustand überfallen würde! Natürlich hätte Buddy sie mit Freuden so oft «Jezabel» genannt, wie sie wollte. Was ging wohl mit einem Prediger im Bett ab, fragte sie sich. Patsy würde es bestimmt wissen.
Raoul nahm den Wagen vor dem Ansonia in Empfang. Es hatte aufgehört zu regnen, und er trug eine knappsitzende braune Uniform mit «Messing»knöpfen aus Plastik. Wäre nicht sein Filzhut gewesen, hätte er als Luftwaffenoffizier einer Bananenrepublik durchgehen können. Als er ihr aus dem Wagen half, drückte er ihr Handgelenk. «Sind aber nich lang in Jerusalem geblieben, Miz Charl.» Das Gute an Raoul war seine Verfügbarkeit. Ihn könnte sie
auf der Stelle
haben! Das war eine echte Verlockung. Sie bekam weiche Knie, als sie daran dachte. Aber sie widerstand. Keine Latino-Liebhaber mehr: ein Vorsatz, an dem sie festhielt wie Tesaband an einem Chihuahua.
Raoul schien zu spüren, dass sie ihn gewogen und für zu leicht befunden hatte. Doch statt zu schmollen, als Mrs. Charles den Aufzug betrat, ohne sich noch einmal umzusehen, kritzelte er in sein Notizbuch:
Muddy Waters spielt im Fluss
Joan Rivers spielt im Schlamm
Swami Guru spielt im Dreck
Zählt die Gräser wie ’n Lamm
Der Tag würde kommen, Mann, an dem jede
blanquita
in New York hinter Raoul Ritz her wäre. Raoul war zum Star geboren, Mann.
Als Ellen Cherry vor dem Badezimmerspiegel stand und beim Abschminken – wie buchstäblich jeden Tag seit zwanzig Jahren – über die epische Fülle ihres Haares staunte, fragte sie ihr Spiegelbild: «Weißt du, mit wem ich gern schlafen würde? Mit wem ich echt gern schlafen würde?» Sie kicherte. «Mit dem einzigen richtigen Künstler in New York City.
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