Salomes siebter Schleier (German Edition)
Gummihämorrhoiden durch die Gegend hüpften. Wer konnte in einem solchen Ambiente essen? Wer über Brüderlichkeit oder das leuchtende Jerusalem meditieren? «Ja, meine Liebe, aber die waren doch schon etwas älter, wenn ich mich recht entsinne. Aus der Zeit, als Sie in Dingsda, äh, Seattle wohnten. Wie wär’s mit etwas … Neuerem?»
«Es gibt nichts Neueres. Ich bin irgendwie nicht mehr zum Malen gekommen, seit ich in New York wohne.»
Ellen Cherry flunkerte. Schon wahr: Nachdem der Airstream-Truthahn ans Museum of Modern Art verkauft worden war (es hatte einen großen Konzern überboten, der ihn bei der Erntedankparty von Macy’s ausstellen wollte), hatte sie ihre Pinsel und Farben in den Ofen gefeuert. Im Spätsommer aber hatte sie wieder angefangen zu malen. Richtig fieberhaft. Sie hatte genug neue Bilder, um jede Wand im I & I damit zu tapezieren, inklusive Küche und Herrentoilette. Aber sie hätte sie niemandem gezeigt, nicht einmal ihrer angeblichen Galeristin Ultima Sommervell, die wie Abu darum gebeten hatte, ihre neuesten Arbeiten zu sehen. Ellen Cherry hatte nicht die Absicht, sie jemals irgendjemandem zu zeigen.
Aber angenommen, du würdest in einer mondlosen Nacht deinen schwarzen Judoanzug anziehen (die Ninja-Turtle-Sorte, die Fassadenkletterersorte) und mit Hilfe von Seil und Saugnäpfen unter den Schuhen die Hochzeitskuchenfassade des Ansonia-Hotels an der Seventy-third, Ecke Broadway bis zum elften Stock hinaufklettern (Pech für deinen armen Arsch, wenn du nicht schwindelfrei bist), wo du mit einer kurzen Brechstange ein Fenster aufbrechen würdest. Nehmen wir weiter an, du würdest reinsteigen und als Letztes deine ebenholzschwarzen taiwanesischen Turnschuhe über den verrußten Sims ziehen. Nehmen wir an, du lenktest den Strahl deines starken Leuchtstifts diskret durchs Zimmer und entdecktest die fraglichen Bilder, gegen die Wand des Apartments gelehnt, die Gesichter entschlossen dem Putz zugewandt. Vorsichtig drehst du eins nach dem anderen herum und inspizierst sie. Zu deiner Überraschung ist keine einzige Landschaft darunter! Auf vielen ist nichts anderes zu sehen als ein kleiner silberner Löffel. Andere zeigen eine einsame, schmutzige rote Socke. Und wo du schon geglaubt hattest, die Pop-Art sei zusammen mit Andy Warhol untergegangen, entdeckst du mehrere realistische Darstellungen einer Dose Van Camp’s Schweinefleisch mit Bohnen. Eins nach dem anderen: Löffel, Socke, Bohnendose, Löffel, Socke, Bohnendose, nur gelegentlich unterbrochen von lebensgroßen Akten eines Mannes, den du als Kunstkenner auf den ersten Blick als Randolph «Boomer» Petway III identifizierst. Aus dem Schlafzimmer hörst du das federleichte Seufzen einer einsamen Schlafenden, und während du auf Zehenspitzen aus dieser Galerie der Verschollenen schleichst, fällt dir ein, dass irgendwer mal gesagt hat: «Die Funktion der Kunst besteht darin, uns das zu bieten, was das Leben uns vorenthält.»
Abu wurde herausgerufen, um mit Spike für ein Foto zu posieren und ein weiteres Interview zu geben. Er hätte lieber mit Ellen Cherry weitergeplaudert oder den Abwasch und die Falafel-Produktion beaufsichtigt, doch bei einer großen öffentlichen Geste wie der mit dem Isaac & Ishmael’s blieb einem gar nichts anderes übrig, als den Wünschen der Presse nachzukommen.
Solange er fort war, lauschte Ellen Cherry wieder den Demonstranten. Sie konnte Onkel Buddys Saxophon hören, wie es die Gläubigen einlullte, sie die Hänge des Tempelberges hinauf- und den Messias vom Himmel herablockte, damit er ihnen hallo sagte. Und hinter dem Schleier des gestärkten weißen Tischtuchs berührte sie sich zwischen den Beinen. Es war, als streichelte sie eine lebende Biene. Eine gefangene Biene, winzige schwirrende Flügel in einer Siruplache.
Als Abu zurückkam, erklärte er: «Ich fürchte, Spike lässt sich von den Demonstranten provozieren.»
«Und Sie fühlen sich nicht provoziert, Mr. Hadee?» Sie hob ihre auf Abwege geratene Hand ans Licht und untersuchte sie unauffällig nach Spuren von Feuchtigkeit.
«Doch, natürlich. Ich bin entsetzt über die Angst und Unwissenheit, die solchem Verhalten zugrunde liegt. Ich fürchte die Gewalttätigkeit. Der Unterschied, meine Liebe, liegt darin, dass ich Araber bin und Spike Jude. O ja! Zu sagen, dass Araber und Juden Brüder und Schwestern sind, heißt noch lange nicht, dass wir gleich sind. Es gibt Rassenunterschiede zwischen Völkern, nicht wahr? Es gibt kulturelle
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