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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
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schwarze
    Kirschen; das bedeutet Tod, und von da an ver-
    ging sie fast vor Angst, sicherlich waren ihre
    Kinder schon hinüber!
    Endlich nach mehr als drei Wochen traf der
    erste Brief ein und brachte Trost. Das junge
    Künstlerpaar war in einer süddeutschen Klein-
    stadt zum ersten Male aufgetreten und hatte
    die Probe bestanden. Ein Zeitungsausschnitt,
    der dem Schreiben beigelegt war, meldete der
    Mutter, daß die „Fratelli Arrigo und Fresco
    Zobelli, die kleinsten und größten Gleichge-
    wichtskünstler der Welt“ vor den Zuschauern
    Gnade gefunden hatten, besonders der Kleine,
    den der Berichterstatter in Freschino umtaufte
    und ein wahres Wunderkind und die Leib ge-
    wordene Verwegenheit nannte.
    An jenem Abend legte Frau Seline den
    Fetzen Zeitung unter ihr Kopfkissen, um auf
    dem Ruhme ihrer Kinder zu schlafen und zu
    träumen. Nun konnte auch das Glück, das ihr
    Bräutigam ihr verheißen, nicht mehr lange aus-
    bleiben. Und wirklich, einen Monat später fand
    zum erstenmal der Geldbriefträger den Weg in
    die Dachwohnung des Hauses zum ‚Sack‘. Er
    brachte keine schwere Summe, aber wer wollte
    das erste Glück wägen? Man nimmt es hin wie
    das Leben, wie die erste Liebe: mit blinden Au-
    gen und hüpfendem Herzen.
    Auf die erste Sendung folgten in ungleichen
    Zwischenräumen andere. Sie wurden alle sorg-
    lich gezählt, auf der Hand gewogen und un-
    tereinander verglichen. Sie nahmen nach und
    nach an Gewicht zu, es konnte kein Zweifel
    walten: das Bächlein Wohlstand, das aus der
    Fremde den Weg in den ‚Sack‘ gefunden hatte,
    schwoll allmählich wie unter einem Wolkense-
    gen an und tat wohl, wo es hinfloß. Man denke
    doch nach der jahrelangen Dürre!
    Zwar ließ es sich Frau Seline nicht weniger
    sauer werden als früher, das Brot wollte sie
    noch nicht von den Kindern empfangen! Was
    ihr aus der Fremde zufloß, legte sie mütterlich
    in eine Schublade, es sollte den Kleinen blei-
    ben. Wie freute sie sich auf die Sonntage, da sie
    in ihrem Stübchen sitzen und ins Weite an ihre
    Krausköpfe sinnen und träumen konnte, die
    jetzt irgendwo in der Welt draußen, ohne daß
    sie auch nur die Richtung am Himmel hätte
    angeben können, ihre Kunststücke machten.
    Sie las die Briefe ihres Bräutigams und die Zei-
    tungen, die er geschickt hatte, sie lernte alles
    auswendig wie ein „Unser Vater“. Und dann
    wieder machte sie sich über die Schublade her,
    in welcher die Geldsendungen Platz gefun-
    den hatten, zählte die Silberstücke zum hun-
    dertsten Male, betrachtete jedes einzelne von
    beiden Seiten, bis sie die ganze Herrlichkeit
    kannte wie ihr Küchengeschirr. Und bei dem
    Werke stellte sie sich ungereimte Fragen: „Wer
    hat von dem Gelde mehr verdient, Heinz oder
    Franz? Franz!“ sagte sie sich, denn der Kleine
    hatte in ihrem Herzen den größern Platz.
    Hütete sie das Geld der Kinder wie ein Berg
    seinen Schatz, so machte sie sich ein kindli-
    ches Vergnügen daraus, das, was sie von ihrem
    eigenen Verdienste nun erübrigen konnte, zur
    Ausstattung ihrer Wohnung zu verwenden.
    Es stand ja fest, daß sie nun reich würde, da
    durfte sie schon etwas leichtsinnig sein! Zuerst
    kaufte sie sich zwei Blumenstöcke, Azalien, die
    denjenigen, die sie ins Wasser geworfen hatte,
    glichen. Sie taufte sie wieder nach ihren Söh-
    nen und war vorsichtig genug, die kräftigere
    Franzli zu heißen. Der Tod sollte ihr kommen!
    Derweil waren mit einem Briefe effektvolle
    Photographien von den Knaben angelangt; für
    die kaufte sich Frau Seline hübsche Rahmen
    und stellte sie recht sichtbar auf die Kommode.
    Dann erstand sie sich, für die einmal Heim-
    kehrenden bestimmt, zwei Kaffeetassen, die
    in goldenen Buchstaben die Worte „Glück auf“
    zur Schau trugen, nachher ein Öldruckbild, ein
    Mutterglück darstellend, und als Gegenstück
    einen eingerahmten Haussegen …
    So kam nach und nach ein bescheidener
    Luxus in das sonst so demütige Dachstübchen,
    und die Witwe hatte nun an ihren einsamen
    Sonntagen genug zu tun, die alten und neuen
    Dinge zu mustern, die Bilder ihrer Knaben
    zu betrachten und Pläne für die Zukunft zu
    schmieden: was wollte sie nun zunächst an-
    schaffen? wo es kaufen? wo anbringen?
    Und war sie mit ihren Projekten im kla-
    ren, so griff sie wohl zur Feder und kritzelte
    ihr ganzes Hochdeutsch auf ein Blatt schönen
    Briefpapiers — sie hatte sich das nämliche aus-
    gesucht, das sie einst als junge Braut verwendet,
    rosafarbig und mit Goldschnitt. Sie mühte

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