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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
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sich
    ab, das köstliche Papier mit Mutterliebe ganz
    auszufüllen, und war untröstlich, daß das, was
    sie im Herzen hatte, ihr nie warm und weich
    und süß genug zu den Fingern und zu der Fe-
    der hinausfloß.
    Trug sie tags darauf, wenn sie zur Arbeit
    ging, das Schreiben zur Post, so erhob sich
    am Schalter ein Fragen und Kümmern: ob die
    Adresse und die Marke ihre Richtigkeit hätten,
    ob die Post die fremde Stadt auch ganz sicher
    fände und in der fremden Stadt das Gasthaus
    zum „Widder“ oder zur „Krone“. Und es kränkte
    sie, daß der Angestellte sie entweder angrinste
    oder anschnarchte, und mit dem Schreibstück
    gerade so herzlos und gleichgültig umging wie
    mit anderer Leute Briefsachen.
    War sie in Aufregung, wenn sie ihre Briefe
    schrieb und abschickte, so zitterte sie beim
    Empfang der Sendungen ihres Bräutigams. Das
    häßliche Bild, das sie eine Zeitlang von ihm in
    sich getragen, wurde nach und nach, durch den
    Glücksschimmer hindurchgesehen, schöner
    und freundlicher; ja, die gute Frau verlor nun
    wirklich ein Stück ihres Herzens hinaus in die
    unbekannte irrefahrende Weite, an den Mann,
    der es mit ihren Buben und mit ihr selber so
    redlich meinte, der das Glück mit seinen wei-
    chen und doch starken Händen streichelte oder
    würgte, bis es sich ergab. Was für eine Wohltat
    hatte ihr der Himmel nach dem entsetzlichen
    Mißgeschick in seiner Gestalt gesandt!
    III.
    erweil durchmaß die kleine Künstlerge-
    D sellschaft auf unstetem Zickzackwege
    ganz Süddeutschland. In allen Städten und
    Städtchen wurden nach und nach buntfarbige
    Plakate an die Mauern geklebt, auf denen in
    großen Buchstaben Signor Ercole die fratelli
    Arrigo und Freschino Zobelli, die größten und
    kleinsten Kopfäquilibristen der Welt einem
    löblichen Publikum zur Beachtung empfahl.
    Der Leiter der kleinen Gesellschaft war wie
    aus Eisen gedreht, wie jene Drahtseile, die, zäh
    und geschmeidig zugleich, ganze Räderwerke
    und Haufen von Menschen in fieberndes Leben
    versetzen. Er tauchte in allen Redaktionsstu-
    ben auf, ein Freibillett in der einen Hand und
    ein Bündel Zeitungen in der andern, und es
    geschah selten, daß er das Büro verließ, ohne
    einen der Herren für seine Sache gewonnen zu
    haben. Er verstand das Geschäft der Reklame
    trefflich und wußte überall mit seinem schar-
    fen Auge die Tasten zu entdecken, auf die man
    drücken mußte, um die Orgelpfeifen der Presse
    erschallen zu lassen.
    Für seine kleinen Künstler war er besorgt
    wie eine Gluckhenne für ihre Jungen. Er wusch
    und kämmte sie selber, bürstete ihre Kleider,
    ließ ihnen kräftige Nahrung und reichlichen
    Schlaf zuteil werden, sah zu, daß nichts ihnen
    die Freude an dem Künstler-Wanderleben ver-
    kümmerte. Freilich mußten die Kleinen sich
    noch mehr rühren als zu Hause. Sie wurden
    mit der Peitsche der Ruhmsucht in ihrer Kunst
    stets vorwärts und höher hinauf getrieben und
    fanden so wenig Zeit, sich nach der Mutter und
    dem Hause zum ‚Sack‘ zurückzusehnen, kaum
    im Bette vor dem Einschlafen, denn da waren
    sie meistens so müde, daß mitten im Abendge-
    bet der Schlummer sie zudeckte. Wo es einzu-
    richten war, ließ Signor Ercole die beiden Kna-
    ben wie zu Hause im nämlichen Bette schlafen.
    Da nahm dann Heinz des Bruders Hand in
    die seine, damit er sich in dem wildfremden
    Raum nicht fürchte, und so schliefen sie ein,
    mit einem Wort des „Unser Vater“ auf den Lip-
    pen, mit einem Gedanken an die Mutter in der
    Brust, selten mit einer heimweherfüllten Träne
    in den Wimpern.
    Jeden Morgen erinnerte sich Heinz beim Er-
    wachen an die Ermahnungen der Mutter. Er
    richtete sich so behutsam, als er konnte, im
    Bette empor und schaute dem Bruder ins ruhige
    rotwangige Gesicht, und ein Freudenschauer
    durchfuhr ihn, daß Franz so gesund und frisch
    neben ihm den Atem einzog. Er wartete still, bis
    er die Augen öffnete, um sich sah und beim An-
    blick des „Großen“ lächelnd sein „Guten Tag!“
    stammelte. Dann kam es vor, daß die Lippen der
    Knaben wie Rosenknospen sich spitzten und
    einander berührten, obschon derlei Übung im
    Hause der Mutter wenig gepflegt worden war.
    Den ganzen Tag wachte Heinz mit besorgten
    Blicken über den Kleinen. Das frühe Vatertum,
    das ihm die Mutter überbunden hatte, erfüllte
    ihn mit Stolz und hob ihn in seinen eigenen
    Augen. Der Ehrgeiz, dessen Stachel überall
    und in allem hinter ihm her war, ließ ihn auch
    in diesen Dingen nicht nachlässig werden,

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