Salto mortale
und dünnen Glieder so
grausam verdrehten, zerkrümmten und ver-
renkten, daß es selbst der zuschauenden Frau
Zöbeli im ganzen Körper wehe tat. Und dann
fingen sie gar an, sich Schwerter in den Hals zu
stecken, Feuer zu verschlucken, Glas zu kauen.
Brr! Und das Publikum schlug in die Hände!
Als der Vorhang wieder in die Höhe ging,
war ein Seil über die Bühne gespannt und
darüber tänzelte ein Mädchen in gelbem Sei-
denröckchen, lächelnd, anmutig, mit einem
großen Stabe spielend. In der Mitte angelangt
kniete es behutsam nieder, und dabei schienen
ihm aus den Schultern, man wußte nicht wie,
zwei schillernde Schmetterlingsflügel zu wach-
sen. Es war anzusehen wie ein von der Luft
getragenes betendes Engelskind. Das ganze
Haus war entzückt über die süße Erscheinung
und selbst Frau Seline Zöbeli klatschte mit
Überzeugung und Ausdauer, denn sie hatte in
dem Engel die Freundin ihrer Knaben erkannt
und freute sich, daß ein so gutes und frommes
Geschöpf zu ihnen hielt, ja es schoß ihr einen
Augenblick der recht mütterliche Gedanke an
Verlobung, Hochzeit, Kindstaufe und so weiter
durch den wie benebelten Kopf.
Was nun folgte, betrachtete sie wieder mit
kühlen Augen und mit dem Gefühl des Un-
behagens. Eine Art Mißgunst kam jedesmal,
wenn geklatscht wurde, über sie. Sie dachte
an die fratelli Zobelli, was brauchten ihnen
die andern den Beifall wegzuschnappen? Hatte
Valentin nicht gesagt, sie seien die Hauptperso-
nen, die Saalfüller, was brauchte man also den
Minderen so viel Ehre anzutun? Und warum
ließ man die Besten erst auftreten, wenn die
Hände schon müde und halb wund waren? Ge-
wiß war da irgendeine Bosheit im Spiele, man
wollte das Wort vom Propheten und der Hei-
mat wieder wahr machen.
Nach den Seiltänzern schwirrten in wun-
derlichen buntscheckigen Kleidern Sängerin-
nen und Tänzerinnen herein, bei deren Liedern
und Tänzen der einfachen Frau recht unbehag-
lich wurde, dann zwei junge Damen mit Trom-
petengeschmetter, dann riesige Kerle, die mit
Kanonenkugeln so flink umgingen wie Kinder
mit Spielbällen.
Als die Riesen auf der einen Seite verschwan-
den, hüpften auf der andern zwei Knirpse her-
ein, die man mit kluger Berechnung in die
Tracht der Buren gekleidet hatte; denn es war
im ersten Jahr des südafrikanischen Krieges
und die Begeisterung für das bedrängte Volk,
mit dem man sich verwandt fühlte, groß. Das
ganze Haus brach in stürmischen Beifall aus.
Seline schossen die Glückstränen in die Augen.
Die fratelli Zobelli traten an die Rampe und
machten ihre Knickse, wobei Freschino die
Mutter entdeckte. Er warf ihr eine Kußhand zu
und lächelte dabei so unbefangen und glück-
lich, daß die Zuschauer, in der Meinung, der
Gruß gelte allen, in neuen Beifall ausbrachen.
Die Knaben warteten das Ende des Gebrau-
ses nicht ab, sie warfen ihre Burenhüte hin,
schlugen die Füße in die Luft und marschier-
ten auf den Händen auseinander, einer Dop-
peltreppe zu, die sich mitten auf der Bühne in
Form eines Daches erhob. Dieses Dach stiegen
sie nun hinan, der eine von rechts, der andere
von links, immer auf den Händen, kreuzten
sich auf dem Giebel und gingen dann abwärts,
wie sie gekommen waren. Sie bewegten sich so
sicher und flink, wie andere Kinder auf den Fü-
ßen, und als sie sich mit einem Ruck wieder auf-
rechtstellten, erfuhr Frau Zöbeli die Genugtu-
ung, daß sich die Hände nicht weniger rührten
als für die Gänse, Störche, und Schweinchen.
Dann unversehens schwebte Freschino
in der Luft. Er stand mit den Händen auf
den hocherhobenen Armen des Bruders und
stemmte den Leib vom Kopf bis hinauf zu den
Zehenspitzen in einer schön geschwungenen
Linie. Ein langes „Aah“ ging durch den Raum,
als Heinz den Kleinen in dieser Stellung die
Treppe hinauf und hinunter trug, und dann
nochmals, den gleichen Weg zurück. Die Mut-
ter hielt sich an der Lehne ihres Sitzes fest
und zitterte für ihren Jüngsten. Wenn Heinz
strauchelte!
Er strauchelte nicht, er trug seine Last bis
nah an die Rampe. Franz aber bog sich stärker
im Kreuz und setzte, sich rückwärts überschla-
gend, in kühnem Sprung auf den Boden und
lächelte nun so freundlich und glücklich in den
Saal hinein, daß alles ihm zujubelte und ihm
mit den Bravorufen tausend glänzende Blicke
zuflogen.
Was Heinz gefürchtet hatte, war eingetre-
ten, Franz hatte ihn wieder vor den Augen der
Mutter in den Schatten
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