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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
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und dünnen Glieder so
    grausam verdrehten, zerkrümmten und ver-
    renkten, daß es selbst der zuschauenden Frau
    Zöbeli im ganzen Körper wehe tat. Und dann
    fingen sie gar an, sich Schwerter in den Hals zu
    stecken, Feuer zu verschlucken, Glas zu kauen.
    Brr! Und das Publikum schlug in die Hände!
    Als der Vorhang wieder in die Höhe ging,
    war ein Seil über die Bühne gespannt und
    darüber tänzelte ein Mädchen in gelbem Sei-
    denröckchen, lächelnd, anmutig, mit einem
    großen Stabe spielend. In der Mitte angelangt
    kniete es behutsam nieder, und dabei schienen
    ihm aus den Schultern, man wußte nicht wie,
    zwei schillernde Schmetterlingsflügel zu wach-
    sen. Es war anzusehen wie ein von der Luft
    getragenes betendes Engelskind. Das ganze
    Haus war entzückt über die süße Erscheinung
    und selbst Frau Seline Zöbeli klatschte mit
    Überzeugung und Ausdauer, denn sie hatte in
    dem Engel die Freundin ihrer Knaben erkannt
    und freute sich, daß ein so gutes und frommes
    Geschöpf zu ihnen hielt, ja es schoß ihr einen
    Augenblick der recht mütterliche Gedanke an
    Verlobung, Hochzeit, Kindstaufe und so weiter
    durch den wie benebelten Kopf.
    Was nun folgte, betrachtete sie wieder mit
    kühlen Augen und mit dem Gefühl des Un-
    behagens. Eine Art Mißgunst kam jedesmal,
    wenn geklatscht wurde, über sie. Sie dachte
    an die fratelli Zobelli, was brauchten ihnen
    die andern den Beifall wegzuschnappen? Hatte
    Valentin nicht gesagt, sie seien die Hauptperso-
    nen, die Saalfüller, was brauchte man also den
    Minderen so viel Ehre anzutun? Und warum
    ließ man die Besten erst auftreten, wenn die
    Hände schon müde und halb wund waren? Ge-
    wiß war da irgendeine Bosheit im Spiele, man
    wollte das Wort vom Propheten und der Hei-
    mat wieder wahr machen.
    Nach den Seiltänzern schwirrten in wun-
    derlichen buntscheckigen Kleidern Sängerin-
    nen und Tänzerinnen herein, bei deren Liedern
    und Tänzen der einfachen Frau recht unbehag-
    lich wurde, dann zwei junge Damen mit Trom-
    petengeschmetter, dann riesige Kerle, die mit
    Kanonenkugeln so flink umgingen wie Kinder
    mit Spielbällen.
    Als die Riesen auf der einen Seite verschwan-
    den, hüpften auf der andern zwei Knirpse her-
    ein, die man mit kluger Berechnung in die
    Tracht der Buren gekleidet hatte; denn es war
    im ersten Jahr des südafrikanischen Krieges
    und die Begeisterung für das bedrängte Volk,
    mit dem man sich verwandt fühlte, groß. Das
    ganze Haus brach in stürmischen Beifall aus.
    Seline schossen die Glückstränen in die Augen.
    Die fratelli Zobelli traten an die Rampe und
    machten ihre Knickse, wobei Freschino die
    Mutter entdeckte. Er warf ihr eine Kußhand zu
    und lächelte dabei so unbefangen und glück-
    lich, daß die Zuschauer, in der Meinung, der
    Gruß gelte allen, in neuen Beifall ausbrachen.
    Die Knaben warteten das Ende des Gebrau-
    ses nicht ab, sie warfen ihre Burenhüte hin,
    schlugen die Füße in die Luft und marschier-
    ten auf den Händen auseinander, einer Dop-
    peltreppe zu, die sich mitten auf der Bühne in
    Form eines Daches erhob. Dieses Dach stiegen
    sie nun hinan, der eine von rechts, der andere
    von links, immer auf den Händen, kreuzten
    sich auf dem Giebel und gingen dann abwärts,
    wie sie gekommen waren. Sie bewegten sich so
    sicher und flink, wie andere Kinder auf den Fü-
    ßen, und als sie sich mit einem Ruck wieder auf-
    rechtstellten, erfuhr Frau Zöbeli die Genugtu-
    ung, daß sich die Hände nicht weniger rührten
    als für die Gänse, Störche, und Schweinchen.
    Dann unversehens schwebte Freschino
    in der Luft. Er stand mit den Händen auf
    den hocherhobenen Armen des Bruders und
    stemmte den Leib vom Kopf bis hinauf zu den
    Zehenspitzen in einer schön geschwungenen
    Linie. Ein langes „Aah“ ging durch den Raum,
    als Heinz den Kleinen in dieser Stellung die
    Treppe hinauf und hinunter trug, und dann
    nochmals, den gleichen Weg zurück. Die Mut-
    ter hielt sich an der Lehne ihres Sitzes fest
    und zitterte für ihren Jüngsten. Wenn Heinz
    strauchelte!
    Er strauchelte nicht, er trug seine Last bis
    nah an die Rampe. Franz aber bog sich stärker
    im Kreuz und setzte, sich rückwärts überschla-
    gend, in kühnem Sprung auf den Boden und
    lächelte nun so freundlich und glücklich in den
    Saal hinein, daß alles ihm zujubelte und ihm
    mit den Bravorufen tausend glänzende Blicke
    zuflogen.
    Was Heinz gefürchtet hatte, war eingetre-
    ten, Franz hatte ihn wieder vor den Augen der
    Mutter in den Schatten

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