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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
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irdischen, sie wandeln still
    und treu mit ihm durch die Nacht, von Stadt
    zu Stadt als tröstliche Begleiter …
    Alle diese flüchtigen Eisenbahnbilder, all
    diese nebelhaften, an der Grenze der Traum-
    welt liegenden Reisestimmungen, berührten
    die Knaben heute nicht. Sie saßen einander ge-
    genüber und sprachen fast nichts, nur dann und
    wann warf der eine dem andern einen Blick zu,
    der etwa sagte: „Wie lang mag’s noch dauern?“
    Und die Antwort: „Nur Geduld, sieh an den
    Telegraphenstangen, wie der Zug rast.“ Oder:
    „Ich kann es nicht erwarten, bis ich das Stüb-
    chen und die Mutter wiedersehe!“ Und der an-
    dere darauf: „Wird alles noch sein wie einst?“
    Es war Nacht, als die Brüder mit ihrem
    Meister durch die Straßen ihrer Vaterstadt der
    mütterlichen Wohnung zustrebten. Als sie, auf
    dem Münsterplatz angelangt, die Mündung der
    spärlich erleuchteten Schlauchgasse erblickten,
    konnten sie nicht mehr an sich halten: wie auf
    Verabredung stürmten sie dem Signor Ercole
    voraus in den ‚Sack‘ und die Treppe empor.
    Man hatte die Mutter, um ihr eine Über-
    raschung zu bereiten, nicht von der Rückkehr
    benachrichtigt, und als sie auf das Klingeln der
    Knaben mit Licht kam und sorgfältig, wie es
    einer Witwe geziemt, die Tür öffnete, taumelte
    sie vor freudigem Schreck und sich ans Herz
    greifend zurück. Die Knaben hängten sich
    an sie, sie umfaßte sie mit dem Arm, den sie
    frei hatte, und so ging es der Stube zu, Seline
    wußte nicht, ob sie von den Kindern oder das
    Kinderpaar von ihr getragen wurde.
    „Gelt, ich hab’ Sorge zu ihm getragen?“ flü-
    sterte ihr Heinz, ein süßes Wort erwartend, ins
    Ohr; sie küßte ihn auf den Mund und ihre Au-
    gen verschlangen die hübschen Krausköpfe.
    „Ja, Franzli sieht gut aus, aber du bist blei-
    cher geworden, größer wohl, aber magerer …“
    Er schmiegte sich fester an sie, es mußte ja
    jetzt alles besser werden, alles ganz gut.
    Signor Ercole trat ein, ohne daß man ihn
    anfänglich bemerkte.
    „Nun, bin ich nicht auch gekommen?“ stieß
    er endlich auf der Türschwelle stehend her-
    vor. Seline eilte ihm entgegen, zog ihn in die
    Mitte des Stübchens, holte ihm einen Stuhl
    herbei und machte dann ihrem Herzen Luft.
    Sie setzte sich ihm gegenüber und stammelte
    ihren Dank. Sie dankte ihm dafür, daß er ge-
    kommen war, endlich, endlich, ihr die Buben
    gebracht und zu ihnen all die Zeit so wohl
    geschaut hatte, sie dankte ihm für den Wohl-
    stand, den er aus der Fremde in ihr Stübchen
    geschickt, sie dankte für das Glück, das nun in
    ihrem Herzen hauste; und dabei zeigte sie ihm
    mit Stolz und Freude die Dinge, mit denen sie
    ihre Stube geschmückt hatte.
    Er nahm ihre Worte mit Genugtuung hin
    und fing gleich an, sich in Zukunftsplänen zu
    ergehen, silberne Stege und Brücken und Stra-
    ßen zu bauen, ein Marmorhaus aufzutürmen
    und es mit goldenen Tischen und Schemeln
    und Stühlen auszustaffieren. Er hatte zuweilen
    eine muntere Fantasie und ließ sie traben.
    Einen vergnügtern Abend hatte das Dach-
    stübchen der Frau Seline Zöbeli noch nie erlebt.
    Auch die Knaben hatten zu erzählen: von Städ-
    ten, die groß seien wie ein ganzes Land, von
    Gegenden, wo es keine Berge gebe, und sogar
    vom Meer und seinen hundert Schiffen. Dann
    von den neuen Freunden und Wandergenossen.
    Franzli berichtete ahnungslos von Bianca, der
    Seiltänzerin, und versuchte der Mutter ihr Lied
    zu singen:
    „Treu und herzinniglich …“
    Heinz gab das einen Stich, und auf einmal
    entdeckte er, daß die Mutter für den Kleinen län-
    gere, wärmere Blicke habe, als für ihn. Er klam-
    merte sich fester an ihren Arm an, als könnte
    sie ihm verloren gehen. Eine trübe Ahnung stieg
    in ihm auf, er wußte nicht wie, er wäre nun
    lieber wieder in der Fremde gewesen, in irgend-
    einer Herberge. Die Qual hatte ihn auch in der
    Heimat gefunden, gab es denn kein Entrinnen?
    Am frühen Morgen waren die Brüder wieder
    wach, es verlangte sie, der Mutter Stimme zu
    hören, es gelüstete sie, wieder einmal über die
    alten Dächer wegzusehen, nach den rauchen-
    den Kaminen, nach dem fliegenden und schlei-
    chenden Getier, nach den Schneebergen und
    ihren weißen Zacken oder den getürmten Wol-
    ken, die darüber lagen. Nach dem Frühstück
    stiegen sie in die Gasse hinab und steckten die
    Köpfe in die Schreinerwerkstatt, wo die Bretter
    wie einst unter den Stößen des Hobels kreisch-
    ten, und die Gesellen in den harzduftenden
    Spänen

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