SALVA (Sturmflut) (German Edition)
es
tun. Ich schuldete den anderen so viel Durchhaltevermögen.
„Das kann man ja nicht mit ansehen.“
Mit diesen Worten legte er sich meinen Arm um die Schulter und stützte mich.
Ich sagte es nicht, doch ich war unendlich dankbar. Wir kamen nicht nur
schneller voran, ich spürte die Schmerzen auch nicht mehr so schlimm.
„Du kannst deinen Stolz ruhig von Zeit
zu Zeit mal ablegen. Das ist okay.“ Aljoscha meinte es nur gut, aber trotzdem
fühlte ich mich irgendwie angegriffen. Ich betrachtete die Art meines Handelns
nicht als stolz.
„Schaut.“ Veit blieb stehen und sah
nach vorne. Vor uns lagen die Reste einer Straße. Sie war völlig verfallen. Es
wirkte sogar so, als hätte man sie mit Absicht abgetragen. „Ist das ein gutes oder
ein schlechtes Zeichen?“ Aljoscha gab keine Antwort darauf, sondern sah nur zur
Straße. Auf seinem Gesicht hatte er einen nachdenklichen Blick, als hätte er
nicht damit gerechnet, dass diese Straße hier war. Mir gab viel mehr zu denken,
warum das überhaupt wichtig war. Ich sah zu ihm auf.
„Aljoscha, alles okay?“
„Ja. Ich denke nur über unsere nächsten
Schritte nach,“ er sah sich um. „Wir müssen bald auf die ersten Blockaden
stoßen.“ Der Gedanke daran machte mich nervös. Müssten wir davonlaufen, wäre ich
chancenlos. Wir gingen weiter auf die Straße zu, bis wir direkt an ihrem Rand
standen. Zu beiden Seiten war nichts zu sehen, außer der fortlaufenden Reste
von Schotter und Teer, die zu einer Seite am Horizont verschwanden und zur
anderen Seite am Ufer des Flusses endeten. Dann sprang mir etwas anderes ins
Auge. Auf der anderen Straßenseite war ein Drahtzaun gespannt. Vielleicht drei
Meter hoch und noch einmal mit Stacheldraht durchzogen. Er wirkte provisorisch
und doch bedrohlich. Man hatte sich die Mühe gemacht, diesen Zaun noch
zusätzlich zu sichern. Ein Stück von uns entfernt, stand ein Schild vor dem
Zaun. Es war nagelneu. Das erkannte man schnell. Es war noch völlig sauber und
hatte nicht die kleinsten Spuren von Verwitterung. Darauf stand:
Achtung!
Kontaminiertes
Gebiet!
Lebensgefahr!
Betreten
strengstens verboten!
Die
Buchstaben waren fett und rot. In der Ferne sah man weitere Schilder. Auf allen
stand vermutlich das gleiche. So hielt man also die Anwohner nahe gelegener
Städte und Dörfer davon ab, etwas zu sehen, was sie nicht sehen sollten. Beim
Anblick des Zauns und der Schilder, konnte ich mir gut vorstellen, dass es eine
ahnungslose Person wirksam fernhalten konnte. Mir allerdings war klar, dass
dahinter kein kontaminiertes Gebiet lag. Es konnte nur eines bedeuten: Wir mussten schon sehr nah an
den umkämpften Gebieten sein. Vermutlich hatte man auch deswegen die Straße
abgetragen. Man sollte diesen Ort nicht einmal mehr erreichen können. Es war
klar, hinter diesem Zaun müssten wir wieder beginnen, um unser Leben zu
kämpfen. Ich atmete tief durch.
„Los, weiter.“ Wir gingen über die
Straße und standen nun direkt vor dem Drahtzaun. Aljoscha fing an, die noch
etwas lose Erde an einem der Stützstreben des Zauns mit seinen bloßen Händen
wegzuschaufeln. Ich kniete mich unter Schmerzen hin und half ihm dabei. Es war nicht genug Platz, um zu dritt daran
zu graben, also sah Veit sich weiter um. Mit seiner Schulter hätte er ohnehin
nur einen Arm richtig benutzen können. Während wir den Pfeiler frei gruben,
hatte ich das Gefühl, um uns würde eine gespenstische Stille herrschen. Aber
nur, weil es im Moment ruhig war, musste das nicht bedeuten, dass keine Gefahr
herrschte. Manchmal bedeutete es sogar das Gegenteil, das hatte ich schon in
der Todesstadt verinnerlicht. Ich begann noch hastiger zu graben.
Es
kam mir vor wie eine Ewigkeit, bis endlich so viel Erde ausgehoben war, dass
der Pfeiler wackelte. Die Erde war nass und hatte meine Finger zu roten,
eisigen Zapfen werden lassen. Der Schmerz pulsierte durch meine Hände.
„Okay, geh jetzt beiseite.“ Aljoscha
half mir wieder auf die Beine und schob mich dann sanft beiseite. Danach packte
er den unteren Teil des Pfeilers und hob ihn einfach aus der Erde, als würde er
nichts wiegen. Ich starrte ihn nur verblüfft an und auch Veit war sprachlos. Er
ließ den Stützpfeiler zu Boden sinken und drückte ihn dann mit den Füßen weiter
hinunter, bis wir darüber steigen konnten. Obwohl ich versuchte, möglichst nur
auf dem Pfeiler zu
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