Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Salve Papa

Salve Papa

Titel: Salve Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
Vom Netzwerk:
in ihren Bahnen standen und nicht verrutschten. Man hatte diesen Job uns damals vierzehnjährigen Jungs überlassen. Wir lagen also auf den Startpontons und hielten die Boote fest. In kapitalistischen Ländern hätte man uns sofort durch irgendeine geistlose Maschine ersetzt, die auf Knopfdruck die Kajaks hielt und auch wieder losließ. Aber im überentwickelten Moskauer Sozialismus bei der halbgescheiterten Olympiade waren die Verhältnisse noch menschlich.
    Als Kajakhalter konnten wir in gewisser Weise sogar den Ausgang der Weltmeisterschaft beeinflussen, indem wir zum Beispiel dem Kanadier einen Schub am Start gaben und die Ungarn etwas ausbremsten. Bei diesen Wettkämpfen ging es schließlich oft um ein paar zerquetschte Sekunden. Deswegen hielten die Sportler aus aller Welt Kaugummi, Fantaflaschen und sogar T-Shirts für uns parat. Die großzügigsten haben fast immer gewonnen. Am Ende des olympischen Tages bekamen wir unsere olympischen drei Rubel und gingen ins Café Regatta hinter dem Ruderkanal, um davon ein Bierchen zu trinken.
    Aus Mangel an Begabung scheiterte ich allerdings regelmäßig als Aktiver in diversen Sportvereinen: Im Basketball war mir der Ball zu schwer, Fechten kam mir zu kitzelig vor, und außerdem schwitzte ich unter der Maske. Hammerwerfen war ein Hammer, aber die Frauen dort … Der Rudersport war dann auch die einzige Sportart, die mir während der Spiele ans Herz gewachsen war. Ich ging danach also zum Ruderverein Zenit und ruderte fünf Jahre lang, die ganze Pubertät hindurch. Ich zeigte dabei eine mittlere Begabung und wurde Vierter in meinem Jahrgang bei den Moskauer Pokalspielen. Mit Erreichen der Volljährigkeit löste sich diese Begabung auf.
    In meiner Kindheit und in der Pubertät hatte ich es die ganze Zeit nur mit normalen unbegabten Kindern zu tun, fleißige waren kaum dabei. In meiner Klasse lernten allerdings zwei Koreaner, und die hatten jede Menge Fleiß. In der Pause, wenn alle auf den Hof zum Rauchen gingen, blieben sie im Klassenraum und nagten weiter das Granit des Wissens, hatten aber komischerweise trotzdem permanent schlechte Noten. In der Klasse von Nicole und in der Klasse von Sebastian gibt es je einen vietnamesischen Jungen. Beide heißen Nguang, und beide bekommen von ihren Eltern Red Bull von zu Hause als Pausengetränk mit in die Schule. Wahrscheinlich glauben die Eltern der Nguangs der Werbung und denken, die Energiedrinks würden ihren Kindern Flügel verleihen. Beide Jungs sind sehr nett, fliegen wie eine Rakete in der Pause durch die Schule, haben aber trotz des Zaubertranks schlechte Noten.
    Außerdem glaube ich, der sprichwörtliche Fleiß der Asiaten ist in Wirklichkeit nur ein Klischee, genauso eines wie die angebliche Tatsache, dass sie Hunde essen. Mein Bekannter Martin aus Krefeld, ein in Deutschland geborener Koreaner, erzählt gerne Geschichten über solche Klischees, mit denen er seit seiner Geburt konfrontiert wird, obwohl die Krefelder im bundesdeutschen Durchschnitt relativ weltoffen sind. Seinen Kindertraum, Tierarzt zu werden, musste Martin trotzdem an den Nagel hängen. Kein Krefelder würde seinen Lieblingshund einem Koreaner anvertrauen.
    Als Martins Vater sich einen Hund zulegte, damit er nach einem Beinproblem nicht allein spazieren gehen musste, haben alle Nachbarn den Hund mitleidig angeguckt und mit »armes Hündchen« angesprochen. Sie waren überzeugt, dass es dem Mann nur darum ging, dem Hund ein paar zusätzliche Kilos zu verschaffen, um ihn spätestens zu Weihnachten wie eine Gans zu schlachten. Dabei weiß Martin nicht einmal, wie Hunde schmecken, er hat sie nie probiert. Er geht sowieso fast nur in deutsche Lokale essen. Wenn er ein chinesisches oder koreanisches Restaurant betritt, schnippen die anderen Gäste sofort mit den Fingern und rufen ihm zu, sie hätten gerne einmal die 26 und einmal die 44.
     

Menschen, Katzen, Telefone
    Wie entsteht ein Mensch? Ich glaube, als Erstes kommt der Charakter, noch bevor sich die Augen, Ohren und sonstigen Organe herausbilden. Der Charakter ist der wichtigste Bestandteil eines jeden, sein sozialer Brennpunkt sozusagen. Er kommt als Erstes und geht als Letztes. Ich glaube, ein Mensch ohne Charakter wäre glücklicher, denn er könnte ein ruhiges, stilles Leben führen. Seine Wünsche würde dieser Mensch seinen Grundbedürfnissen anpassen. Und es ist wahr, man braucht eigentlich nur wenig, um glücklich zu sein: ein paar belegte Brote und einen Lebenspartner. Schon schön, wenn auch

Weitere Kostenlose Bücher