Salve Papa
noch wach? Sofort ins Bett!«
»KUKE FILM DARF KUKEN«, kam die Antwort.
Als Nächstes las ich: »Will nicht schlafen«, »Warum sind alle so gemein zu mir«, »Nicole will Streit« und »Gute Nacht Papa«. Alles verblüffend korrekt geschrieben. Anscheinend hatte das Kind bereits das Redaktionsprogramm gefunden und aktiviert.
Inzwischen ist die erste Telefonaufregung vorbei. Sebastian schickt mir höchstens noch eine SMS am Tag, und manchmal ruft er aus der Schule an, wenn er schlechte Laune hat. Weil anrufen in der Schule verboten ist, gehen die Jungs zum Telefonieren aufs Klo. Das hört sich dann an, als würde Sebastian von weit weg anrufen. Ich höre die Niagarafälle in seinem Rücken und die Schreie von Flamingos. Anstatt »Guten Tag« zu sagen, atmet er anfangs laut und lange in den Hörer.
»Was ist?«, frage ich, »Was gibt es Neues am Niagara?«
»Die Schule ist doof«, beschwert sich mein Sohn. Die Klassenlehrerin habe auf ihn geschimpft, weil er sein Schreibheft zu Hause gelassen habe. Peter sei krank, und Karl Friedrich wolle nicht mit ihm spielen. »Darf ich jetzt nach Hause gehen?«
»Nein, darfst du nicht«, sage ich. »Die Schule ist Pflicht, egal wie doof sie ist, und Eltern werden dafür in die Verantwortung genommen, dass ihre Kinder lernen. Wenn du nach Hause gehst, landen Mama und ich im Knast.«
»Na gut«, sagt Sebastian, »dann gehe ich jetzt zurück und mache weiter.«
Statt »tschüs« sagt er immer »Ende«. Als Hintergrundbild benutzt er übrigens ein Foto unserer Katze Marfa. Jeden Tag schießt er ein neues Bild von ihr. Aus seiner Sicht passt Marfa perfekt auf den Bildschirm seines Telefons, weil sie so klein ist. Sebastian hat Zweifel, ob so große Katzen wie Fjodor Dostojewski als Hintergrundbild taugen, weil sie zu flauschig und zu dick sind.
»Nur Katzen unter zwei Kilo können als Hintergrundbild benutzt werden«, behauptete er neulich im Gespräch mit unserer Freundin Marina. Marina hat ihr ganzes Leben lang in der Gastronomie gearbeitet, zuerst als Köchin und die letzten Jahre als Geschäftsführerin in einem großen Restaurant. Sie hob Marfa kurz hoch, schloss für eine Sekunde die Augen und sagte: »2,4. 1,8 ohne Knochen«, fügte sie nach einer kurzen Pause hinzu.
Dickes Mädchen
Ich bin Gastvater geworden. Wie das passiert ist, habe ich selbst noch nicht ganz kapiert. Es war ungefähr so: Der Geschäftsführer meiner Stammkneipe hat ein großes Herz. Er geht jeden Tag mit seinen zwei Hunden aus, er verschenkt gerne Blumen an unbekannte Frauen, und nach der Tsunami-Katastrophe hat er jede Menge Geld für die Opfer gespendet und alle Kneipenbesucher gedrängt, dasselbe zu tun. Na und, jeder hat seine Macken, dachten wir, sonst war der Kerl nämlich ganz in Ordnung.
Anfang März erzählte er mir, ein Herr Dr. Goebel hätte sich an ihn gewandt. Dieser Doktor habe einen Verein gegründet, der jährlich für mehrere hundert russische Schüler mehrere hundert deutsche Gastfamilien sucht, bei denen sie drei Monate lang leben können, die Sprache lernen und auf eine deutsche Schule gehen. Dafür würde man ihm nun das Bundesverdienstkreuz anheften. Doktor Goebel wolle unbedingt, dass diese seine Ehrung unbedingt im Kaffee Burger stattfinde und dass ich die Laudatio halte, erzählte mir der Geschäftsführer. Ich hielt das für eine verrückte Idee. Im Burger waren noch nie Orden verliehen worden, höchstens Kopfnüsse. Auch hatte ich noch nie an einer solchen Zeremonie teilgenommen. Doch der Geschäftsführer war Feuer und Flamme, weil er eben ein großes Herz hat, und so ließ ich mich überreden.
Zu allem Überfluss wurde die Verleihung dann auch noch als Kostümball angekündigt, und alle Gäste mussten sich in mittelalterliche Klamotten zwängen. Nur meine Frau und ich waren peinlicherweise in Zivil gekleidet. Dazu kam noch, dass meine Frau im Begrüßungsgespräch aus mangelnder Orden-Kenntnis das Bundesverdienstkreuz mehrmals als »Hakenkreuz« bezeichnete. Es waren sehr viele Gasteltern und Freunde des Doktors anwesend, die trotz ihrer bescheuerten Kostüme ausgelassen feierten. Sie tanzten, priesen den Kreuzträger, sangen irgendwelche mir unbekannten deutschen Holzfällerlieder und sahen mit ihren Bärten alle wie der geehrte Dr. Goebel aus. Das Ganze erinnerte an eine feurige Mischung aus einer Kinderdisko auf Ibiza und der Untergrundversammlung einer Partisanenbrigade.
Zwischen Trank und Gesang erzählte Dr. Goebel, wie er die Kinder für sein Programm
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