Salve Papa
etwas langweilig.
Dann kommt einem aber immer dieser verdammte Charakter dazwischen. Er lässt den Mensch sein kleines Glück nicht genießen, sondern denkt sich immer wieder etwas Neues aus. Er bringt einen Mensch dazu, Spaghetti Bolognese mit Fischstäbchen zu mögen, rosa Hosen nicht anziehen zu wollen und Fernsehwerbung ohne Ton zu schauen. Dieser Charakter sitzt irgendwo ganz tief im Menschen und erzählt ihm, was er noch so alles unbedingt braucht. Und eines Tages sagt der Mensch dann plötzlich: »Ich will ein Handy.« Bei meinem Sohn hat es von Geburt an acht Jahre gedauert, bis sein Charakter ihm einflüsterte, er müsse unbedingt ein Mobiltelefon haben.
»Wozu brauchst du ein Telefon, Junge? Wen willst du anrufen?«, regte ich mich auf. »Alle Menschen, mit denen du zu tun hast, leben in deiner unmittelbaren Umgebung. Die brauchst du nicht anzurufen, die kannst du einfach so rufen, ohne Telefon. Sie kommen alle, und ich versichere dir, sie werden live viel besser zu hören sein als am Telefon und besser zu sehen sein als die Menschen in der Glotze.«
»Du spinnst, Papa«, sagte Sebastian daraufhin. »Ich brauche ein Handy doch nicht zum Telefonieren. Ich will tolle Spiele spielen, Fotos schießen, Musik hören, lustige Klingeltöne mit meinen Mitschülern austauschen und ihnen SMS schicken. Fast alle in meiner Klasse haben Handys, ich brauche auch eins. Am besten ausklappbar und mit großem Bildschirm.«
Der Junge hat Recht, dachte ich. Ein Telefon ist heute nicht einfach nur ein Telefon, sondern ein Spielzeug. Das kenne ich aus meiner Kindheit anders. Wir hatten von Luftpistolen geträumt, von Fahrrädern, Schlittschuhen, Fußbällen, aber nie von Telefonen. Sie waren total out. Gut, es waren etwas andere Geräte. Sie passten in keine Hosentasche, hatten überhaupt keine Spiele und nur einen einzigen völlig unspektakulären Klingelton. Das Einzige, was wir mit diesen Urtelefonen spielen konnten, war, unbekannte Leute anzurufen. Am besten wählte man einfach eine zufällige Nummer am späten Abend, wenn die meisten Bürger müde wurden und ihre Wachsamkeit nachließ. Wenn dann am anderen Ende jemand ranging, sagten wir:
»Guten Tag! Wir rufen aus dem Telefonministerium im Auftrag des KGB an. Es geht um die Nachprüfung alternativer Verbindungsmöglichkeiten.«
»Worum geht’s?«, fragte der Unbekannte verwirrt nach.
»Alternative Verbindungsmöglichkeiten. Wie lang ist Ihr Telefonkabel? Drei Meter? Ziehen Sie jetzt bitte das Kabel aus der Steckdose und stecken Sie es sich in den Arsch.«
Eins, zwei, drei, aufgelegt. Wir haben danach immer wie blöd gelacht. Die Telefone unserer Kindheit hatten keine Displays, und die Anrufe konnten nicht zurückverfolgt werden. Ach, es waren schon lustige Telefone. Aber Fotos schießen konnte man damit nicht. Das alles habe ich meinem Sohn natürlich nicht erzählt. Ich wollte ihm kein schlechtes Vorbild sein. Stattdessen dachte ich, was soll’s, der Junge hat sowieso bald Geburtstag, er wird neun, und neun ist nahe an zehn, also ein Alter fast schon im zweistelligen Bereich. Eine neue Lebensphase, die eine technische Aufrüstung notwendig macht.
Eine Woche später übergab ich Sebastian feierlich sein erstes Handy mit Zubehör. Die Gebrauchsanweisung umfasste gut hundert Seiten und war dicker als jedes Buch, das mein Sohn bis dahin gelesen hatte. Nun ist das Kind für die nächsten sechs Monate beschäftigt, dachte ich. Ich hatte mich geirrt. Um 19.00 Uhr bekam Sebastian sein Telefon, bedankte sich und ging auf sein Zimmer, »aufladen«. Um 20.20 Uhr kam die erste SMS. Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Der Mensch ist doch ein seltsames Wesen. Manches Wissen braucht Jahre, um einen zu erreichen, manches kommt nie an, und manches erwischt einen wie ein Blitz. Drei Jahre hatte Sebastian gebraucht, um die 29 Buchstaben einigermaßen vernünftig aufs Papier zu kritzeln. Es dauerte Monate, bis er Rechnen gelernt hatte, und seine Seepferdchen-Prüfung hat er noch immer nicht geschafft. Das Wunder der modernen Technik, das Mobiltelefon, knackte er jedoch innerhalb einer Stunde. Die Botschaften aus dem Kinderzimmer kamen im Minutentakt. Ich verfolgte in Realzeit, wie sein mobiltelefonisches Können beständig wuchs. Die ersten zwei SMS waren leer. Dann kam eine dritte, so etwas wie »Khirdl«. Und dann plötzlich:
»KUKE FILM«
»Hör auf, mich anzuschreiben, wir befinden uns in derselben Wohnung«, schrieb ich meinem Sohn zurück. »Und überhaupt, warum bist du
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