Salve Papa
gelernt hatten, um der Lehrerin etwas mitzuteilen und sagte: »Guten Tag! Mein Vater schämt sich zu fragen, wo hier Der Wixxer II steht.« Dabei zeigte er demonstrativ in meine Richtung. Ich klebte ganzkörperrot am Bergman-Regal. Die gesamte Belegschaft der Videothek schaute mich grinsend an.
»Dein Vater braucht sich nicht zu schämen. Neues vom Wixxer steht in Regal sieben. Ich bringe ihn euch gleich«, sagte eine Mitarbeiterin.
»Und? Wie war ich?«, fragte mich Sebastian stolz, als wir den Laden verließen.
»Den ersten Satz hättest du dir sparen können«, zischte ich.
Sexualrevolution 1904
Wir haben das Gymnasium unterschätzt. Der Lernprozess zehrt ganz schön an den Kräften. Für meine Tochter sind Sport- und Musikunterricht eine ganz besondere Herausforderung, weil in diesen Fächern Streberqualitäten verlangt werden, die sie nicht besitzt. Man muss sich beim Sport und bei der Musik auf Kosten der anderen hervortun – das heißt lauter singen oder höher springen. Diese Fächer belegen fast immer die letzten Unterrichtsstunden. Die ersten Stunden fertigt Nicole traditionell in einem leichten Dämmerzustand ab. Die Wissensbestände gelangen durch eine unaufdringliche Halbhypnose in ihren Kopf, und erst Mittags nach dem Besuch der Schulkantine wird sie richtig wach. Dann heißt es aber fast immer Sport oder Musik. Oder Erdkunde.
Mir machen die Hausaufgaben meiner Tochter etwas zu schaffen. Ich gebe zu, ohne Internet wäre ich mit ihnen nicht fertig geworden. Doch in manchen Fächern kann selbst das mächtige Internet nicht helfen. In Erdkunde zum Beispiel müssen sie alle Bundesländer mit ihren Hauptstädten auswendig lernen, obwohl die auf jeder Karte eingezeichnet sind. Meine Tochter schrieb die Namen der Städte auf kleine Zettel und klebte sie überall in der Wohnung an Wände und Türen, sogar auf der Toilette, damit sie auch beim Kacken weiterlernen konnte. Man hörte ständig »Erfurt! Erfurt!« aus dem Bad. Nachts sagte sie im Schlaf mehrmals »Magdeburg«. Im Traum wurde Magdeburg wahrscheinlich zur Hauptstadt.
Kaum hatten wir die Hauptstädte durch, kamen die Flüsse und Berge dazu. Man musste alle deutschen Flüsse in eine Tabelle von 1 bis 16 eintragen, je nach dem, wie viel Wasser durch einen Fluss floss. Die Berge wiederum sollten in eine leere Karte eingezeichnet werden, die hohen hell-, die niedrigen dunkelbraun. Wenn man dem Lehrbuch meiner Tochter glauben würde, bestünde Deutschland aus lauter Bergen.
In gewisser Weise stimmt das sogar. In Berlin wohnen wir auf dem Prenzlauer Berg. Ich habe Freunde in Kreuzberg und Schöneberg. Eine Bergvolkmentalität, die sogenannte »Ihr könnt mich mal«-Haltung, ist in dieser Bergwelt weit verbreitet. Doch selbst wenn wir auf die Spitze unserer Berge klettern und einander zuwinken würden, könnten wir uns nicht sehen. Es sind sehr flache Berge. Die Herausgeber dieses Lehrbuchs haben wahrscheinlich selbst den kleinsten Hundescheißhaufen als Berg verzeichnet, um auf diese Weise die deutsche Landschaft vielfältiger zu gestalten. Deswegen sind auch die meisten Berge im Atlas dunkelbraun.
Die Mathematikaufgaben meiner Tochter kann ich inzwischen aber ziemlich schnell lösen, wenn auch nur mit Hilfe eines Taschenrechners. Das Angenehme bei Mathe ist, es sind meistens realitätsbezogene Aufgaben. »Stellen Sie sich vor, Sie haben auf Ihr Girokonto 350,- Euro eingezahlt und 490,- abgehoben, dann wieder 170,- eingezahlt und 25,- abgehoben« – und so weiter. Es wird die Geschichte eines einsamen Irren erzählt, der seine Nachmittage in der Gesellschaft eines Geldautomaten verbringt. Er spielt mit solcher Hingabe auf dessen Tasten, als wäre von dem Automaten ein Jackpot zu erwarten.
Mathematik, Chemie, sogar Erdkunde machen unter Umständen manchmal Spaß. Aber die schlimmsten Hausaufgaben sind, Goethe auswendig zu lernen. Ich möchte dem großen Dichter nicht zu nahe treten, aber der »Zauberlehrling« ist nichts als ein fieser Zungenbrecher. Damit hat sich Goethe bei Generationen von Kindern unbeliebt gemacht.
Walle! walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.
Und so weiter – drei Seiten lang. Könnte man das Gleiche nicht verständlicher ausdrücken? Wie viele Fernsehabende wären gerettet, wie viele Spaziergänge absolviert, wie viele Freundschaften vielleicht entstanden, wenn Goethe sich stattdessen damals auf kurze prägnante Zweizeiler
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