Salz der Hoffnung
hinüber, die der Tür gegenüberstanden.
Caroline war nervös, fahrig. »Sie sind viel zu ruhig. Vermutlich wird der Schock erst später einsetzen, aber bis dahin, Mrs. Howth …«
»Hayes«, verbesserte Regal.
»Oh, um Himmels willen! Das ist doch jetzt ganz gleich. Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe: Sagen Sie gar nichts. Ich werde ihnen klarmachen, daß sie zu sehr unter Schock stehen, um zu reden. Wir werden eingestehen müssen, daß Sie den Mann erschossen haben, aber wir müssen es so darstellen, als seien Sie geistig verwirrt. Das ist Ihre einzige Chance.«
Von draußen erschollen Männerstimmen, Regal hörte laufende Schritte in der Halle. Sie war sehr müde und ließ sich in den Sessel fallen. »Gehen Sie und reden Sie mit ihnen, Caroline. Ich bleibe hier.«
Es gab ohnehin nichts mehr zu sagen. Es war alles vorbei. Sie lehnte den Kopf zurück, ein schwarzes Tuch schien sich über ihren Verstand zu breiten, und bereitwillig ließ sie sich in das stille Dunkel gleiten. Was für eine Wohltat, nicht mehr denken zu müssen. Jetzt konnte sie ausruhen. Einfach nur ausruhen.
12. Kapitel
Leonard Rosonom hatte Regals Bitte dahingehend beantwortet, er werde so bald wie möglich nach London kommen; doch als der Tag seiner Abreise feststand, war es zu spät, um noch einmal zu schreiben. So bestieg er denn sein Schiff, keineswegs begeistert von der Aussicht auf wochenlange Untätigkeit. Aber es war unvermeidbar. Es wurde höchste Zeit, daß er mit Regal sprach. Ihre Briefe hatten ihn verwundert, einer dramatischer als der andere, und der letzte war wirklich der Gipfel von allem gewesen. Dieser Mann, mit dem sie zusammenlebte, Captain Jorgensen, war König von Island geworden! Hätte sie nicht einen Zeitungsausschnitt beigelegt, hätte Leonard kein Wort davon geglaubt.
Ihr felsenfester Entschluß, die Northern Star-Anteile ihres Mannes zu kaufen, war ebenfalls merkwürdig gewesen, doch Jameson Jones, den Leonard zum Vertreter der East Coast Mercantile bestellt hatte, hatte ihm berichtet, auf lange Sicht sei es vermutlich keine so schlechte Anlage. Mulgrave, der die Geschäfte führte, kämpfte hartnäckig um das Überleben der Gesellschaft. Doch aus irgendeinem rätselhaften Grunde hatte Regal strikt verboten, daß Jones ihm in irgendeiner Weise dabei behilflich war.
Darum mußte Leonard sich dringend kümmern. Er hatte die Absicht, Mulgrave aufzusuchen.
Und dann war ihr Mann ums Leben gekommen. Ermordet! Nicht auszudenken. Sogar Judith hatte angemerkt, daß sein Tod Regal doch sicher sehr gelegen kam, weil sich dadurch ein langwieriges Scheidungsverfahren und andere drohende gerichtliche Auseinandersetzungen erübrigten. Eine wirklich unselige Geschichte. Aber immerhin brachte er ihr auch gute Neuigkeiten. Boston hatte sich zu einem Handels- und Wirtschaftszentrum entwickelt, und Regals Immobilien in der Innenstadt stiegen stetig im Wert. Jameson Jones hatte darauf gedrängt, auch in London Grundbesitz zu erwerben, denn die Preise seien vergleichsweise niedrig, doch angesichts Regals komplizierter persönlicher Situation hatte Leonard das nicht für klug gehalten. Jetzt konnte man diese Vorschläge neu überdenken, da für Regal keine Notwendigkeit mehr bestand, England zu verlassen. Oder doch? Leonard wurde das Gefühl nicht los, daß es für Regal besser wäre, nach Boston zurückzukehren. Die Geschichten über diesen Jorgensen klangen so merkwürdig. Da stimmte doch irgend etwas nicht.
Wie seltsam mußte dieses Europa sein, wenn ein Schiffskapitän sich einfach so zum König erheben konnte. Aber schließlich hatte Napoleon alle seine Geschwister zu Königen und Königinnen und Prinzen und Prinzessinnen gemacht, ohne daß einer von ihnen aristokratischer Herkunft gewesen wäre. Für einen amerikanischen Beobachter war es wirklich verwirrend, hatte er doch eigentlich immer geglaubt, eine Krone sei nur durch Geburtsrecht zu erlangen. Aber dort wurden sie offenbar verteilt wie Orden.
Als das Schiff anlegte, verabschiedete Leonard sich von den zahlreichen neuen Freunden, die er während der Überfahrt gewonnen hatte, und nahm eine Droschke für die Fahrt durch Londons Straßen. Unterwegs sah er sich staunend um. Wenn die Kinder alt genug waren, würde er sie und Judith einmal hierherbringen, um diese großartige Stadt zu
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