Salz der Hoffnung
beeindruckt, schließlich war er ein außergewöhnlicher Mann, aber seinen schneller Aufstieg von einem Fremden zu Regals Liebhaber hätte sie wohl nicht gebilligt.
Sie überlegte, wieso ihr das Wort »außergewöhnlich« in den Sinn gekommen war, aber als sie ihn jetzt ansah, sein ausgeprägtes Kinn, seinen langen, muskulösen Körper, als er vom Bett aufstand und sich streckte, war sie überzeugt, daß er kein gewöhnlicher Seemann war.
»Ich gebe bei dir zu Hause Bescheid«, sagte er. »Sonst schlagen deine Dienstboten noch Alarm. Am besten lasse ich ihnen mitteilen, du seist noch bei Freunden.«
Er zog Hosen und Wollhemd über und war verschwunden.
Regal wünschte, sie hätte selber daran gedacht; seine Umsicht ließ sie verantwortungslos erscheinen.
Sie ging mit ihm zusammen im Park spazieren und weiter die Straße hinunter, denn sie waren hungrig und sahen sich nach einem Gasthaus um, wo sie etwas zu essen bekämen. Jorge wirkte tief in Gedanken versunken.
»Du überlegst, wie du mich am schnellsten loswirst«, hielt sie ihm vor, doch er zog sie an sich. »Nein, Regal. Niemals.«
Also setzten sie sich in den Garten einer Schenke, wo Jorge einen großen Krug Bier trank, Regal einen sauren Zitronensaft. Der Wirt brachte ihnen zähes Rindfleisch und altes Brot dazu. Regal knabberte nur daran, während Jorge alles achtlos aufaß. Er machte sich Sorgen wegen des Krieges und redete länger darüber, als ihr lieb war. Doch sie hörte ihm mit größerer Aufmerksamkeit zu, als sie Charles jemals geschenkt hatte.
»Es heißt, die Engländer werden Napoleon bald besiegt haben, und dann ist alles vorbei«, meinte sie.
»Er wird nicht so leicht zu schlagen sein«, widersprach Jorge und warf der Entenfamilie, die gerade den kleinen Teich überquerte, ein paar Brotkrümel hin.
»Mach dir keine Sorgen, vergiß den Krieg, Jorge, er macht dich so grimmig. Es hat doch nichts mit dir zu tun.«
»Der Krieg betrifft uns alle«, erklärte er.
»Ich sehe nicht ein, warum. Ich bin Amerikanerin, es ist nicht mein Krieg. Und du bist so lange in der Südsee gewesen, es sollte auch dich nicht kümmern.«
»Es betrifft mein Land. Dänemark hat sehr unter diesem Krieg zu leiden.«
»Das tut mir leid. Das wußte ich nicht. Früher fand ich Napoleon so romantisch, aber jetzt denke ich, je eher wir ihn loswerden um so besser.«
Er brach einen Zweig von einem ausladenden Weißdornbusch ab und betrachtete die weiße Blütentraube; ein paar winzige, durchschimmernde Blütenblätter rieselten auf den Tisch. »Was würdest du zu einem Plan sagen, der die Länder Europas vereint? Wenn man einen Staatenbund gründete, der einen dauerhaften Frieden gewährleistet?«
»Ich finde, das klingt sehr vernünftig.«
Er nickte. »Ja, es ist ein schöner Traum. Dem Handel würde es nützen, und die Menschen könnten nach Herzenslust reisen, würden nicht länger durch die ständigen Krisen behindert. Kleine Länder wie Dänemark könnten die Hilfe der mächtigeren Partner in Anspruch nehmen und müßten nie wieder so leiden wie unter der jetzigen Blockade.«
»Es klingt wirklich wunderbar«, sagte sie, nunmehr von der Idee angetan. »Eines Tages wird es vielleicht wahr. Das Problem ist nur, diese alten Länder sind in ihren Sitten und Gebräuchen zu festgefahren.«
»Ich bin froh, daß dir die Idee gefällt.« Er lachte. »Es ist Napoleons Traum.«
Sie starrte ihn verdutzt an und schnappte dann nach Luft. »Du hast mich hereingelegt! Du machst dich über mich lustig.«
»Keineswegs. Ich wollte dir lediglich die andere Seite der Medaille zeigen. Tausende von Franzosen glauben an diese Sache, und Menschen in anderen Ländern ebenfalls. Sie kämpfen, sie opfern ihr Leben, nicht aus reiner Bosheit, wie offenbar jeder in England glaubt, sondern weil sie an diesen Traum glauben. Es erstaunt mich immer wieder, was Napoleon alles erreicht hat. Von einem armen Soldaten hat er es zum mächtigsten Mann Europas oder gar der Welt gebracht. Man muß ihn einfach bewundern; er ist ein Genie, vergleichbar mit Alexander dem Großen.«
»Vermutlich hast du recht.« Regal hatte noch nie gehört, daß irgendwer auch
Weitere Kostenlose Bücher