Salz der Hoffnung
»Nein, Madam.«
Sie war aufgeregt. Sie stand in ihrem Schlafzimmer und drehte sich mit ausgestreckten Armen im Kreis wie ein kleines Mädchen. Ihr war schwindelig vor Glück. Es war erstaunlich, wie er es fertiggebracht hatte, in ihren letzten gemeinsamen Stunden ihren Kummer zu vertreiben und sie mit seinem Enthusiasmus anzustecken. Sie wußte, es war verrückt, aber das war ihr gleich. Von diesem Hochgefühl würde sie jetzt zehren, von der Erinnerung an ihre Liebesnächte, an jede köstliche Einzelheit und an dieses neue Element, seinen Ehrgeiz. Sie fand ihn faszinierend, etwas, das sie greifen und erforschen, dem sie Beifall zollen konnte. Jorge, das hatte sie vom ersten Augenblick an gewußt, war kein gewöhnlicher Seemann, kein Abenteurer, der einfach dahin segelte, wohin der Wind ihn trieb – ganz gleich, was William Sorell über ihn sagte. In den letzten gemeinsamen Momenten hatte er ihr sein Geheimnis enthüllt, die Quelle seiner Kraft: sein Stolz, sein Ehrgeiz. Keine schwachen, vagen Hoffnungen, sondern Entschlossenheit. Sie erinnerte sich, wie ihr Großvater von seinem Vater gesprochen hatte, von seinem Mut und seiner Tapferkeit. Einen ›großartigen Draufgänger‹ hatte Großvater ihn genannt. Regal warf sich auf ihr Bett. »Und hier ist noch einer, Großvater. Noch ein großartiger Draufgänger.«
Dann mußte sie plötzlich lachen. Nur gut, daß sie Maria Collins und Edwina nichts davon erzählen mußte, daß sie sich in einen Mann vom gleichen Schrot und Korn wie David Collins verliebt hatte. Ein Mann, der ausgezogen war, um sich ein Abenteuer zu suchen, ein Soldat noch dazu. Nach all ihrer Kritik an diesen Männern und ihren dummen Frauen, die zu Hause saßen und sich vor Sehnsucht verzehrten, hätten sie sie sicherlich furchtbar ausgelacht. Bis in alle Ewigkeit hätten sie sie damit aufgezogen. Eines Tages, wenn er heil zu ihr zurückgekehrt und all dies vorbei war, würde sie es ihnen sagen. Dann spielte es ja keine Rolle mehr.
Bonnie klopfte an ihre Tür. »Kann ich hereinkommen, Madam?«
»Ja.« Sie richtete sich auf und setzte sich im Schneidersitz mitten aufs Bett.
»Geht unten alles seinen gewohnten Gang?« fragte Regal, auch wenn es ihr im Grunde gleich war.
»Ja, Madam. Nur der Kutscher hat gegrummelt. Er sagt, sie sollten ihren eigenen Wagen nehmen, wenn sie verreisen. Sie wissen ja, jeder kommt gerne mal ein paar Tage heraus.«
»Und hast du deine freien Tage genossen?«
»Genossen?« Bonnie kratzte sich am Hals. »Kann ich nicht behaupten. Ich bin nach Hause gegangen, aber es wird immer schlimmer dort, und meine Mum hat gesagt, ich soll nicht mehr wiederkommen.«
»Warum? Hattet ihr Streit?« Regal merkte, daß dieses Gespräch das Mädchen nervös machte, aber sie wollte sich unterhalten, mit irgendwem reden.
»Nein, nein. Mum sagt, ich soll zu meiner Sicherheit wegbleiben. Es ist so schlimm geworden. Sie haben nichts mehr, Mrs. Howth, keiner dort. Und sie hausen in furchtbaren Löchern, da hinter Bethnal Green. Es ist so schrecklich, das würden Sie gar nicht glauben, alle zusammengepfercht in schmutzigen Häusern, und da verhungern sie oder saufen sich zu Tode oder prügeln sich und stehlen. Es ist zu gefährlich für mich, da in meinen sauberen Sachen vorbeizugehen, wissen Sie, da gibt’s Frauen, die mich für das Kleid hier erdrosseln würden oder aus purer Gemeinheit niederstechen.«
»Es tut mir leid«, sagte Regal. Sie fühlte sich unbehaglich und mußte an Jorges Vorhaltungen denken.
Bonnie zuckte mutlos die Schultern. »Die halbe Welt muß eben arm sein, heißt es, da kann keiner was dran machen. Und jetzt mach’ ich mich lieber an die Arbeit und stör’ Sie nicht länger.« Sie zog die Vorhänge zurück. »Selbst bei geschlossenen Fenstern kommt der Staub herein. Ich warte lieber, bis sie nach unten gegangen sind, dann werde ich hier ausgiebig lüften und Staub wischen.«
»Nein, warte«, sagte Regal. »Würde es helfen, wenn ich dir Geld für sie gäbe?« Sie fischte den kleinen Beutel mit Sovereigns aus ihrer Handtasche, den sie zu ihrem Abenteuer mitgenommen hatte, für den Fall, daß sie Geld brauchte. Sie gab ihn Bonnie. »Hier, bring ihnen das.«
Bonnie knotete das Seidentuch auseinander und starrte auf das Häuflein Goldmünzen. Dann schüttelte
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