Salz und Asche - Roman
Zöglinge ihre Sachen bereit haben.«
»Die Sachen sind gleichgültig. Ich sage doch, es eilt. Der Herr möchte eine bestimmte Störung vermeiden. Sagt den Kindern, dass sie noch einen Ausflug machen, und dann bringt sie rasch her.«
Betroffen nickte der Pastor und beeilte sich, ins Haus zurückzukehren.
»Und Lügen kannst du auch«, flüsterte Jockel anerkennend.
»Kein Grund, stolz zu sein«, murmelte Jan.
Nur wenig später trieb eine schwarz gekleidete, hagere Frau acht Kinder vor sich her aus dem Haus. Die Kinder verhielten sich ungewöhnlich brav und still, bis sie in beiden Booten saßen. Dann begannen sie um die besten Plätze zu rangeln. Umgehend wurde deutlich, warum sie vorher so brav erschienen waren. Die Frau löste eine dünne Rute von ihrem Gürtel und verteilte wortlos und mit eisiger Ruhe Hiebe an die Kinder in ihrem Boot, bis sich alle mit ihren Händen über den Köpfen zusammenkauerten und wieder schwiegen. Anschließend nahm sie hinter ihnen Platz.
Jan überlegte, ob die Frau schwimmen konnte oder ob ihre schwarzen Röcke sie behindern würden. Ermorden wollte er sie nicht, aber im Wasser hätte er sie gern gesehen. Andererseits durften sie kein Aufsehen erregen, und außerdem fühlte er sich so erschöpft, dass er am liebsten nur noch geschlafen hätte. Auch die Kälte wurde schlimmer, Jockels Kittel wärmte ihn nicht. Zur Krönung des Ganzen bekam er schlecht Luft, was ihm gar nicht ähnlich sah. Wahrscheinlich atmete er nicht richtig, weil ihm der Schnitt im Rücken nun doch wehtat.
Er setzte sich ruhig hin und bemühte sich, tief Luft zu holen. Um sich von seiner Erschöpfung abzulenken, sah er sich die vier Kinder genauer an, die Kathi und ihm gegenüber in der Scholle saßen. Es waren drei Jungen und ein etwas größeres Mädchen. Er überlegte, ob sie Alberts Schwester war, wagte aber noch nicht, sie anzusprechen, um die Kinderfrau nicht zu alarmieren.
»Die ständigen Störungen sind der Erziehung nicht zuträglich«, beschwerte diese sich eben.
Kathi entfuhr ein erstickter Laut des Hohns, eine andere Antwort bekam die Kinderfrau nicht. Geradezu geisterhaft
mutete das Schweigen auf den Booten an, die doch immerhin mit Kindern beladen waren.
Auch über den Ufern des Flusses lag mittlerweile Abendstille. Selbst die Vögel kamen zur Ruhe. Nur dann und wann ließ sich eine Ente oder ein Haubentaucher aus dem Schilf aufscheuchen und floh mit leisem Plätschern und Flügelschlagen.
Gegen den Strom rudernd brauchten sie zurück in die Stadt länger als auf dem Hinweg. Jan kämpfte mit dem Schlaf, der so mächtig nach ihm rief, dass ihm einige Mal schwarz vor Augen wurde. Ein Mal griff Kathi nach seinem Arm und rüttelte ihn, damit er wieder wach wurde. Sie hatte recht, eine Weile musste er noch durchhalten. Die Kinder mussten sicher abgeliefert werden. Er zwang sich, die Augen offen zu behalten, und sah daher sofort, dass die Kette bei der Warborch geschlossen war, als sie dort kurz nach der Maria ankamen. Im Gegensatz zu ihm schienen die Schiffer darüber nicht beunruhigt zu sein. Der alte Hüne, der auf der Maria das Kommando hatte, nahm zum ersten Mal an diesem Abend die Tabakspfeife aus dem Mund. Er ahmte das langgezogene »Kii-witt« eines Kiebitzes nach.
Am Gegenufer der Hude kam ein junger Mann aus den Büschen, machte leise die Kette los und ließ sie so weit in den Fluss gleiten, dass die Boote darüber hinwegfahren konnten. Hinter ihnen zog er die Kette wieder hoch und sicherte sie mit einem großen Schloss an ihrem eisernen Pfosten. Dann winkte er den Schiffern und machte sich flink davon, als hätte er nur eine Gefälligkeit getan, die nicht unüblich war.
Die Schiffer ruderten die Boote leise und gekonnt bis zur ersten Hafentreppe beim Visculenspeicher, wo bereits
eine Reihe von Kähnen festgemacht lagen. Die Maria legte als Erstes an. Die Männer vertäuten das Boot, halfen den Kindern auf die Treppe und brachten sie nach oben. Das kleinste Mädchen war eingeschlafen und wurde von dem alten Hünen getragen.
Kathi klopfte Jan aufs Knie, als es an ihnen war, auszusteigen. Jockel hatte die Scholle so gesteuert, dass sie vor den Kindern von Bord mussten. Kathi wechselte auf die Maria und hielt die Scholle von dort aus am Tau fest, während Jan und der zweite Schiffer den Kindern die Hand reichten. Jan fing den letzten Jungen auf, als dieser über ein Paar Riemen stolperte, die im Boden der Maria lagen. Dabei fühlte er sich selbst so wacklig auf den Beinen, dass der
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