Salz und Asche - Roman
Kleine ihn beinah mit umgerissen hätte.
Als er wieder aufsah, bemerkte er, dass Kathi mit ihrem Jockel einen Blick wechselte, der vor Schalk glitzerte. Er war noch nicht so dumm vor Müdigkeit, dass er ihre stumme Absprache nicht mit der Kinderfrau in Verbindung gebracht hätte. Diese schickte sich eben an, die Scholle zu verlassen.
Sie streckte den Arm aus, um sich ebenfalls von dem zweiten Schiffer helfen zu lassen, machte ihren großen Schritt jedoch bereits, bevor dieser zugegriffen hatte. Kathi gab der Scholle einen kräftigen Stoß, und Jan half am Bug nach. Mit einem spitzen Schrei landete die Kinderfrau im Wasser. Jockel und der zweite Schiffer machten sich geflissentlich, aber äußerst umständlich und grinsend daran, sie zu retten, während sie bis zum Kinn im Wasser planschte und nach Luft schnappte.
Kathi stieß Jan an und huschte den Kindern nach, die es inzwischen die Treppe hinauf geschafft hatten. Jan folgte langsamer. Es kam ihm vor, als hätten die Kleinen weniger
Schwierigkeiten mit den Stufen gehabt als er, so kurzatmig war er.
Mit den Händen scheuchte Kathi die Schiffer und die Kinder voran. »Los, los! Erstmal außer Sicht!«
Zwei Straßen weiter hielten sie an. Kathis Augen funkelten vor Vergnügen. »Den Trauerschwan hätten wir abgehängt. Was nun?«
Die Kinder teilten Kathis Vergnügen nicht. Bis auf die Kleine, die auf dem Arm des Schiffers schlief, wirkten sie alle verängstigt und verwirrt. Die jüngeren weinten.
Jan wandte sich an das größere Mädchen, das auf der Scholle mitgefahren war. »Sag mal, meine Süße, kannst du mir sagen, wer die Minna Främcke ist? Bist du das vielleicht?«
Das Kind sah sich um, bevor es antwortete, und flüsterte dann: »Nein. Wir haben alle neue Namen bekommen. Ich heiße jetzt Christine.«
Jan neigte sich zu ihr. »Ja, aber vorher?«
Sie antwortete kaum hörbar. »Minna.«
»Und wer ist dein Bruder Paul?«
Sie deutete auf einen Achtjährigen, der nicht weinte, sondern mit großen Augen und hochgezogenen Schultern ins Nichts starrte.
»Minna, hör mal zu. Ich heiße Jan und bin ein Freund von Albert. Er und ich möchten nicht, dass ihr zu dieser gemeinen Frau zurückgeht. Sag den anderen, dass ihr tapfer sein müsst und noch ein Stückchen laufen. Dann seid ihr bald bei freundlichen Leuten.«
Hoffnung leuchtete in ihren Augen auf, und sie griff nach seinem Ärmel. »Kommt Albert auch?«
Jan schluckte und nickte. »So schnell er kann. Aber eine Weile wird es noch dauern.«
Als Minna anfing, zu den anderen zu sprechen, gaben Jans Beine nach. Er hatte noch Zeit festzustellen, dass er sich nie zuvor so merkwürdig gefühlt hatte, dann lag er plötzlich in Kathis Armen. »Holzkopf«, sagte sie.
Er strich ihr benommen eine Haarsträhne aus dem Gesicht, wusste, dass es ihr Gesicht war, obwohl Susannes sich davorschob. »Kathi«, zwang er sich, zu sagen. »Kathi …«
Sie sah ihn nicht länger an, sondern sprach mit einem anderen. »Morten, du musst ihn zu Schmitt in die Schmiede bringen. Der Junge ist fertig für heut. Er hat mir auch noch den Kittel durchgeblutet.«
»Hm-hm. Komm, Jungchen, bis zum Eber schaffst du es noch. Da leihen wir’ne Schubkarre.« Jan fühlte sich von Männerarmen umschlungen, auf die Beine gezerrt und gleich darauf sanft wieder abgelegt. »Oder ich hol die Karre doch lieber gleich«, hörte er noch.
Dann wurde alles schwarz um ihn.
Susanne und Till standen vor der verschlossenen Hintertür, als sie endlich nach Hause kamen. Till ließ sich mit einem Seufzer auf die Bank sinken. »Wenn er das um diese Zeit schon macht, dann ist er wütend. So spät ist es noch gar nicht. Es hat noch nicht zehn geschlagen.« Er hatte eben zu Ende gesprochen, da schlug es zehn. Nachdenklich sah er die Tür an. »Wie schade, dass es keinen Sinn hat, etwas gegen dein Fenster zu werfen, damit du mich hereinlässt.«
Sosehr Susanne sich auch vor der Begegnung mit ihrem Vater fürchtete, die verriegelte Tür ärgerte sie. Dies war auch ihr Haus. Jahrelang hatte sie Tag für Tag gearbeitet, um es in Ordnung zu halten und für seine Bewohner zu sorgen. Ihr Vater mochte der Hausherr sein, doch sie auszusperren,
weil sie für einige Stunden ihrer eigenen Wege gegangen war, das war nicht gerecht. »Ich will zu Bett«, sagte sie verbissen. Sie hob die Faust, um zu klopfen.
Bevor sie die Tür berühren konnte, wurde innen der Riegel zurückgezogen, und Susanne stand ihrem Vater Auge in Auge gegenüber. »Wo warst du?« Er stieß die
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