Salz und Asche - Roman
Vater ihn und wandte sich dann wieder Susanne zu. »Aber warum, zum Teufel, habt ihr nicht erst mit uns gesprochen?«
Susanne war zu erschöpft, um zu lächeln. Es musste auf
elf Uhr zugehen, und sie hätte aufrecht sitzend schlafen können. »Es war eilig. Rieger drohte, uns zu verleumden, und ich glaube, er hätte die Gerissenheit und die Mittel dazu. Deshalb wollte ich schnell mit Herrn von Waldfels sprechen, bevor Rieger ihn und andere dazu bringt, mir nicht mehr zu glauben.«
»Was heißt, er wollte euch verleumden? Wen - euch? Womit?« Ihr Vater blieb stehen. Ihm war anzusehen, dass sich ihm vor Sorge die Haare sträubten. Susanne tat es leid, dass sie ihn nicht beruhigen konnte. Herr von Waldfels hatte ihr nicht einmal versprochen, gegen Riegers Plan einzuschreiten. »Jan Niehus und mich. Till hat er ja nicht gesehen.« Sie wusste, dass ihre Wangen rosig glühten.
Ihr Vater legte die gefalteten Hände an seinen Mund, lief weiter auf und ab und murmelte vor sich hin. »Wie konnte ich es so weit kommen lassen? Ursula, verzeih mir. Du hättest besser aufgepasst. Herrje, herrje.«
Plötzlich baute er sich vor Susanne auf. »Kind, du weißt hoffentlich, was dir blüht, wenn er das wahrmacht. Ob du etwas Unrechtes getan hast oder nicht, das wird gleichgültig sein, wenn die Leute anfangen zu reden. Pastor Schwertfeger wird in der Kirche eine Predigt über die Unzucht halten und mich drängen, dich mit dem lumpigen Niehus zu verheiraten, damit du am Ende mit ihm zusammen aus der Stadt gejagt wirst. Und es könnte noch schlimmer kommen. Du hast doch schon Frauen mit kahlem Kopf am Kak stehen sehen. Oder nicht? Willst du so enden? Ohne Ehre? Gerade jetzt, wo alles so gut aussah. Du hattest Aussichten, Mädchen! Aussichten, für die andere sich Zähne ziehen lassen würden. Was glaubst du, wie es dem jungen Lossius gehen wird, wenn er das hört? Wie konntest du so dumm sein, dich in so eine Lage zu bringen? Lässt dich mit
so einem Dahergelaufenen sehen und hältst dem Tratsch die Hand hin. Was ist nun zu tun? Martin, was meinst du, können wir bei Herrn von Waldfels noch etwas ausrichten, damit er seinem Schurken den Mund verbietet?«
Martin hatte die ganze Zeit stillgesessen, doch Susanne kannte ihn gut genug, um an kleinen Zeichen zu erkennen, dass er ebenso aufgeregt war wie ihr Vater.
»Wir müssen darüber schlafen und gleich morgen früh etwas unternehmen. Vielleicht können wir das Schlimmste noch verhindern. Wenn es nicht gerade der Niehus wäre. Von dem werden alle nur zu gern das Schlechteste glauben«, sagte er.
»Das ist ungerecht. Er ist anständig.« Susanne versuchte, es mit Überzeugung zu sagen, doch sogar in ihren eigenen Ohren klangen die Worte hohl. Ein halbes Jahr zuvor hätte sie nicht gezweifelt, was anständig war. Seit Kurzem war sie sich darüber nicht mehr sicher. Jan hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er ein Verbrecher gewesen war. Und er hatte ebenfalls betont, dass er aus ihr keine ehrbare Ehefrau machen konnte, wie es nun eigentlich richtig gewesen wäre. Dennoch war sie davon überzeugt, dass er anständiger war als die meisten anderen. Sich selbst hielt sie allerdings nicht mehr für anständig. Im Grunde hatte sie Jan verführt.
Ihr Vater gebot ihr mit erhobener Hand zu schweigen. »Meinetwegen mag er anständig sein, solange er es am anderen Ende der Stadt ist und nicht in deiner Nähe. Er bleibt ein Fremder, ob nun an den Gerüchten über ihn was dran ist oder nicht. Ganz gleich, wie diese Sache ausgeht, du wirst ihn nie wiedersehen. Und du wirst auch nicht mehr allein aus dem Haus gehen. Glaub nicht, dass ich scherze! Ich hätte keine Skrupel, mir einmal wieder eine Haselrute zu schneiden, wenn du nicht gehorchst.«
Der Schmerz, der sich den ganzen Abend über in Susanne verborgen gehalten hatte, kroch hervor. Solange Jan und sie nur selbst beschlossen hatten, einander nicht mehr zu sehen, war es noch nicht ganz wahr gewesen. Nun, da ihr Vater es aussprach, wurde es Wirklichkeit.
Die wunden Stellen ihres Körpers erinnerten sie an Jans Zärtlichkeit. Das Atmen wurde ihr schwer. »Darf ich nun zu Bett gehen? Ich bin sehr müde.«
»Ja, scher dich hoch. Wahrscheinlich musst du das Bett mit der Lene teilen. Sie hat sich zu den Mädchen gelegt, damit sie Ruhe geben.«
Susanne hatte gerade im Halbdunkel ein frisches Hemd für die Nacht angezogen und das getragene wohlweislich unten im Wäschekorb vergraben, als es an der Haustür pochte. Der Besucher klopfte so laut,
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